Ganz Österreich« scheint um Alfred Hrdlicka zu trauern. Selbst die ihm verhaßte FPÖ des Rechtspopulisten HC Strache glaubt ihn als »großen Künstler« und »starke Persönlichkeit », dessen Werk »stets für Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gesorgt hat«, würdigen zu müssen. Wir wissen ja: De mortuis nil nisi bene. Aber diese Würdigung hat sich Alfred Hrdlicka nicht verdient. Denn sein Werk bleibt bestehen, und es ist – und wird es auch immer sein– eine einzige Anklage gegen Engstirnigkeit, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und des Faschismus in all seinen Spielarten.

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»Aber ich bin lieber Proletarier als Avantgardist«
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Das Begräbnis findet am 19. Dezember um 11.30 Uhr auf dem Zentralfriedhof, zweites Tor, Halle zwei statt.
Rege Beteiligung hat sich Alfred Hrdlicka nicht nur verdient, sondern auch gewünscht.
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Alle scharen sich nun um den Leichnam Alfred Hrdlickas, mit Platitüden wie, er sei der »Bildhauer per se« (Agnes Husslein, Direktorin der Galerie Belvedere), er sei eine »laute Stimme für eine bessere Welt« (Werner Faymann, Bundeskanzler) gewesen usw. Diese nun an- und ausbrechende Wertschätzung, die ihm zu Lebzeiten keineswegs immer bzw. ungeteilt zuteil wurde, hängt auch, aber nicht nur mit dem austriakischen Grundsatz zusammen, daß nur ein toter Künstler ein guter Künstler sei, sondern sie ist auch der Tatsache geschuldet, daß Alfred Hrdlicka im besten Sinne des großen Begriffes ein Mann, ein Künstler des österreichischen Volkes war. Und das hat hier nichts mit dem österreichischen Hang zur zuckersüßen Volkstümelei zu tun. Aber viel mit dem marxistischen Begriff Volk, im Sinne von arbeitendem, werktätigem, lohnabhängigem Volk, denn aus diesem ist er hervorgegangen, und auf dieser nie verleugneten, aber auch nicht glorifizierten Herkunft beruht seine Kunst. Und dies und diese ist einzigartig.
Hrdlicka war Kommunist: »Wie soll man sonst Antifaschist sein ?« (A. Hrdlicka). Manchmal hat er sich als Stalinist bezeichnet, vornehmlich dann, wenn ihn das transformatorische Geschwafel konjunkturlinker Kreise genervt hat oder wenn jemand »seine« Rote Armee, die »Armee meiner Befreiung« und »seine« Sowjetunion, »die den Krieg gewonnen, aber den Frieden verloren hat«, madig machen wollten. Und seine zahlreichen offenen Briefe an »öffentliche« Personen unterschrieb er gern mit: »A. Hrdlicka, Uraltstalinist«. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gilt er als ein Geburtshelfer der Partei »Die Linke« in der BRD, da er seinen »Freund Lafontaine« mit Gysi zusammengebracht hat. Ein Widerspruch? »Ja, so dialektisch ist die Wirklichkeit.«

Und diese Dialektik prägt auch sein Werk, an dem er sich (im engsten Sinne des Wortes) abgearbeitet, das aber auch ihn (im nicht weniger engen Sinne) abgearbeitet hat. Er war unbequem, auch als Künstler. Heiße oder besser: aufgehitzte Diskussionen waren der Begleiter seiner öffentlichen Kunst: Die Kritik an seinem »Renner-Denkmal« an der Wiener Ringstraße (1967), er habe aus Renner einen Kasperl gemacht, quittierte er damit, daß er den ganzen Opportunismus dieses Sozialdemokraten in sein Antlitz legen mußte, und das sei eben das Ergebnis. Und auch der Errichtung seines »Mahnmals gegen Krieg und Faschismus« auf dem Wiener Albertinaplatz (1988) war ein jahrlanger Streit vorausgegangen: Das Denkmal könne so nicht aufgestellt werden, wenn doch, dann nicht dort, weil unter diesem Platz sich Hunderte Bombenopfer befinden usw. Noch im heurigen Mai erregte ein Relief der seliggesprochenen Ordensfrau und Widerstandskämpferin Restituta Kafka in der Barbarakapelle des Stephansdoms nicht nur die kirchlichen Kreise, der »ja Erregung eigentlich fremd sein sollte« (abermals A. Hrdlicka); Toni Faber, Dompfarrer und spiritus rector der Auftragsvergabe, bezeichnete das Kunstwerk zu recht als ein »starkes Mahnmal gegen den NS-Terror«.

Hrdlicka war als Künstler unzeitgeistig und inkorrekt, er ließ an den Scharlatanerien der Moderne, Postmoderne, Postpostmoderne etc. nicht ein winziges gutes Haar: »Ich war geprägt von der illegalen Arbeit. Was ich mache, ist eine proletarische Arbeit. Aber ich bin lieber Proletarier als Avantgardist … Ich frage mich: Von was ist jemand Avantgardist? Ich finde das an der Grenze.«

Und dann und nicht zu knapp gab es den sozial umgänglichen Querulanten Alfred H., mit dem sich trefflich diskutieren und streiten ließ, am besten mit einem Glas in der Hand, am besten gefüllt mit Wodka, bevorzugterweise der Marke Stolichnaya. Wenn er jemandes Feind war, dann war er es ganz, wenn er aber jemandes Freund war, dann war er es noch mehr als ganz. Ohne ihn wird auch das Trinken in Wien nicht mehr das sein, was es mit ihm war: eine dialektische Ergänzung zum Essen. (Man wird unwillkürlich an den vom kongenialen Hrdlicka-Vertrauten Helmut Qualtinger verkörperten Inspektor Pokorny erinnert, der im Wirtshaus ein Achtel bestellt und die Frage »Weiß oder Rot?« mit »Slivowitz!« beantwortet.) Hrdlicka bedeutet übrigens so viel wie Turteltäubchen.

Wenn man Hrdlicka, seine Kunst, seine Bedeutung für die Kunst würdigen will, dann kann man nur schwer an Superlativen vorbeischrammen. »Der Titan und die Bühne des Lebens« hieß eine Werkschau zum 80. Geburtstag im Wiener Künstlerhaus. Gigant ist auch schon vom Feuilleton verbraucht. Aus tiefster innerster Überzeugung, als Freund und Kommunist kann man dennoch das Folgende mit Fug und Recht sagen, weil es keine Behauptung, sondern die schlichte Wahrheit ist: Mit Alfred Hrdlicka verstarb der letzte und würdige Nachfolger der Großen der Bildenden Kunst, eines Phidias, eines Michelangelo, eines Auguste Rodin – und damit ist nur eine Seite seines Werkes gewürdigt.

Leb wohl, Turteltäubchen, Freund, Genosse, Genie!

Quelle: junge Welt, 8.12. 2009