Der KSV Wien schätzt sich glücklich an dieser Stelle das Skript jenes Referats veröffentlichen zu können, welches Tibor Zenker am Montag, 10. Dezember 2007, zum Auftakt unserer Filmreihe hielt. Bei dieser Gelegenheit sei dem Vortragenden und Autor nochmal unser bester Dank ausgesprochen!

Vorab die traurige Nachricht: Roger – ist tot. Roger Smith, 1981 bis 1990 Vorstandsvorsitzender von General Motors (GM) und im Film "Roger und ich" verhinderter Interviewpartner von Michael Moore, ist vor wenigen Tagen, am 29. November 2007, in Alter von 82 Jahren verstorben.

Im Film "Roger und ich", 1989 von Michael Moore gedreht, geht es um die Folgen der Strukturumwandlungen und Produktionsverlagerungen des GM-Konzerns für die nordamerikanische Industriestadt Flint, wofür besagter Roger Smith in den 1980er Jahren als GM-Vorstandsvorsitzender verantwortlich war. Innerhalb des Konzerns wurde und wird ihm dies hoch angerechnet: es ging um Maßnahmen, die damals den Konzern konsolidiert und rationalisiert haben, um seine Marktführerschaft abzusichern und v.a. dem Aufkommen der japanischen Konkurrenten wenigstens am US-Markt etwas entgegensetzen zu können, was vom heutigen Standpunkt aus betrachtet jedoch nur bedingt gelungen ist.

Ein paar Worte zur gegenwärtigen Situation in der Automobilbranche in den USA, dann zu ihrer Geschichte, die natürlich eine Geschichte der stetigen Konzentration der Produktion und der Bildung von Monopolen ist. Und in diesem Sinne werden wir letztlich wieder über die Stadt Flint, Michigan, sprechen, welche die Heimatstadt von Michael Moore und Ausgangspunkt von "Roger und ich" ist – und die, wie wir noch sehen werden, auch der Ausgangspunkt von GM war.

Zur Gegenwart: Man spricht von einem monopolisierten Binnenmarkt, wenn die vier größten Unternehmen einer Branche mindesten 40% der Umsätze erwirtschaften. Wenn wir die Automobilbranche in den USA betrachten, dann sind es sogar nur drei US-Großunternehmen, drei Monopolkonzerne, die einen Marktanteil von 53% erreichen (2006). Diese drei Konzerne sind GM, Ford und Chrysler. Würde man noch Toyota Nordamerika hinzurechnen, was freilich ein japanisches Unternehmen bleibt, so hielten die Top-4 einen Marktanteil von etwa 70%. Wir sehen also, die Automobilbranche in den USA ist sogar ein äußerst hoch monopolisierter Bereich.

Zu den drei US-Konzernen: Der 53%-Marktanteil dieser Unternehmen teilte sich im Jahr 2006 folgendermaßen auf: der geringste Anteil entfiel auf Chrysler (damals noch gesamt für DaimlerChrysler, aber der Mercedes-Anteil in den USA ist eher gering) mit ca. 10% Marktanteil, Ford erreichte einen Marktanteil von etwa 16%, und GM war und ist mit einem Marktanteil von über 27% der unangefochtene Marktführer.

Diese drei Konzerne haben sich in den letzten 100 Jahren in einem wunderbar exemplarischen Monopolisierungsprozess in den USA herausgebildet. Michael Moore beschreibt das in seinem Buch "Stupid White Men" im Jahre 2002 folgendermaßen:

"Man nennt das K-A-P-I-T-A-L-I-S-M-U-S (Kapitalismus). Im Jahr 1919, 20 Jahre nach der Erfindung des Autos, gab es 108 Autohersteller in den Vereinigten Staaten. Zehn Jahre später war ihre Zahl auf 44 geschrumpft. Ende der fünfziger Jahre waren noch 8 übrig, und heute haben wir noch insgesamt 2 1/2 US-amerikanische Autohersteller. So funktioniert das in unserem System." (S. 82)

(Der halbe US-Hersteller ist damals Chrysler, weil ja in Wirklichkeit vom deutschen Daimler-Benz-Konzern übernommen; vor einigen Monaten wurde Chrysler aber wieder "in die USA zurückgekauft": nämlich vom hinlänglich bekannten Cerberus-Fonds…)

Was Moore in diesem Zitat beschreibt, ist das – vorläufige – Ergebnis des stetigen Zentralisations- und Konzentrationsprozesses des Kapitals, des Konzentrationsprozesses der Produktion, der Monopolisierung: über Fusionen und Übernahmen verschwinden die kleineren Unternehmen, die von den größeren aufgekauft werden. Im Falle der US-Automobilbranche sind tatsächlich nur GM, Ford und Chrysler übrig geblieben. Entsprechend gibt es zwar immer noch zig verschiedene US-Automarken, jedoch sind diese bezüglich der Eigentumsverhältnisse alle auf die drei genannten Konzerne zurückzuführen. Und darüber hinaus: diese US-Konzerne haben, kraft der globalen Dominanz des US-Monopolkapitals, weltweit andere Automobilhersteller, in Europa, Asien und Australien, übernommen.

Spricht man z.B. von Ford, dann stellt dieser Konzern auch die Autos her, die gemäß dem Emblem auf der Kühlerhaube oder am Grill als Jaguar, Landrover, Lincoln oder Aston Martin firmieren – dies sind die britischen Übernahmen. Weiters hält Ford die Mehrheit an dem ehemals schwedischen Unternehmen Volvo sowie am japanischen Hersteller Mazda. – Chrysler seinerseits brachte in den DaimlerChrysler-Konzern nicht nur die Chrysler-Modelle ein, sondern auch die US-Marken Doge und Jeep, sowie bedeutende Anteile am japanischen Unternehmen Mitsubishi, am südkoreanischen Unternehmen Hyundai und am britischen Unternehmen McLaren.

Bleibt der GM-Konzern, der als weltgrößter Konzern dieser Branche freilich die umfassendste Ausbreitung hat. Gehen wir hier historisch vor: Als GM 1908 in Flint gegründet wurde – heute ist der Unternehmenssitz natürlich längst in Detroit -, war dies zunächst bloß die vorgelagerte Struktur des Herstellers Buick. Binnen zwölf Monaten ab Gründung übernahm GM jedoch drei weitere bedeutende US-Hersteller, nämlich Pontiac, Cadillac und Oldsmobile. 1917 wurde Chevrolet angeschlossen, womit GM bereits einen wesentlichen Teil der US-Automobilindustrie vereinigte – noch vor Ende des Ersten Weltkrieges! Demgemäß folgten nun transnationale Übernahmen: 1925 wurde das britische Unternehmen Vauxhall übernommen, 1929/31 das deutsche Unternehmen Opel – hier konnte sich GM auch am Aufrüstungsprogramm des deutschen Faschismus äußerst profitabel beteiligen -, und 1931 der größte australische Hersteller Holden. – Für die jüngeren Übernahmen und Beteiligungen hat unser lieber Roger Smith die Weichen gestellt: 1990 wurde die schwedische Marke Saab übernommen, 1998 Hummer, 2001 der südkoreanische Hersteller Daewoo. Größere Anteile hält GM außerdem an Suzuki und an Fiat. (Vor einigen Jahren sah es so aus, als würde GM den italienischen Fiat-Konzern, inklusive Ferrari, Lancia, Alfa Romeo, Maserati, komplett übernehmen, dies wurde jedoch von europäischer Seite, nicht zuletzt von staatlicher italienischer, vorerst abgewehrt.) – Darüber hinaus ging in den 80er Jahren die Etablierung neuer Marken von GM aus, dies betraf einerseits die Marke Saturn, die neue Luxusschiene von GM, andererseits den Sportwagen DeLorean, der zwar im realen Leben floppte, aber dafür, mit der Sonderausstattung des Fluxkompensators, als Zeitmaschine in den "Zurück in die Zukunft"-Filmen bekannt wurde.

GM ist heute der weltgrößte Konzern in der Automobilbranche, gefolgt von Toyota. Im Jahr 2006 wurden über neun Millionen GM-Wagen produziert, und dies von weltweit 284.000 Angestellten in nicht weniger als 33 Staaten. – Und diese letztere Tatsache bringt uns zurück nach Flint, Michigan.

Flint ist gegenwärtig eine Stadt mit ca. 120.000 EinwohnerInnen, ist also etwa so groß wie Innsbruck. In Flint leben heute 26,4% der Menschen unter der Armutsgrenze. Das Durchschnitteinkommen der Menschen in Flint ist bloß halb so hoch wie der nationale US-Durchschnitt. Flint hat eine der höchsten Verbrechensraten der USA, die Stadt gilt als "murder capital" der USA. – Das kommt alles nicht von irgendwo, sondern vom ökonomischen und sozialen Abstieg Flints, der vor allem der Absiedelung der Automobilindustrie seit den 80er Jahren geschuldet ist, was Moore in seinem Film ja auch kritisieren will, wenn auch mit dem ihm eigenen untauglichen Moralismus.

Tatsache ist, dass im Jahr 1978 nicht weniger als 80.000 Menschen in Flint und Umgebung für ortsansässige Betriebe von GM gearbeitet haben. Damals hatte Flint allerdings auch noch 190.000 EinwohnerInnen. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, nach den ersten Strukturbereinigungen des Konzerns, arbeiteten noch 20.000 Menschen in Flint für GM, d.h. nur noch ein Viertel. Gleichzeitig war die Bevölkerung von Flint auf 140.000 Menschen geschrumpft. D.h. dass binnen zweier Jahrzehnte nicht weniger als 50.000 Menschen – sozusagen fast ganz Sankt Pölten – weggezogen sind, weil es keine Arbeit mehr gab. Und diese für europäische Verhältnisse unvorstellbaren innerstaatlichen Migrationsbewegungen sind auch der einzige Grund, warum die Arbeitslosenrate in Flint nicht längst über 50% liegt (beachtliche 15% sind es trotzdem): die Menschen ziehen einfach weg. – Und heute? Heute leben, wie bereits angeführt, überhaupt nur noch 120.000 Menschen in Flint, für GM arbeiten noch 8.000 davon – also nur noch ein Zehntel der Anzahl von vor 30 Jahren. Und diese Menschen arbeiten jedoch auch nicht mehr in richtigen Automobilwerken, wovon es vor 30 Jahren noch über 30 in Flint gab, sondern nur noch in der Komponentenproduktion. In Flint, dem Geburtsort von GM, wird heute tatsächlich kein Auto mehr komplett montiert.

Wo produziert ein "globalisierter" GM-Konzern nun? Bei den Betriebsabsiedelungen, die Moore 1989 kritisierte, ging es um Verlagerungen vor allem nach Mexiko. Heute geht es aber noch billiger für den größten Automobilkonzern der Welt: GM lässt heute vor allem in Südafrika sowie in Asien produzieren, nämlich in Südkorea und – man beachte – in China.

Moore wollte Roger Smith fragen, ob er nicht ein schlechtes Gewissen hätte. Aber darum geht es natürlich nicht, im Kapitalismus nicht, im imperialistischen, monopolkapitalistischen Stadium desselben natürlich schon gar nicht. Natürlich hätte Smith, der ja als Person sowieso auswechselbar ist und war, gar nicht anders handeln können, weil kein Monopolkonzern anders handeln kann – bei Strafe des Untergangs. Standortfragen, Personalrationalisierungen, Produktionsverlagerungen und die Schließung von Betriebsstandorten sind Dinge, die nicht von den bösen Kapitalisten aus Gemeinheit auf die Tagesordnung gesetzt werden, sondern sie setzen sich von selbst auf die Tagesordnung des Monopolkapitals. Es ist dies nur die folgerichtige Fortsetzung eines ökonomischen Systems, das eben auf Konkurrenz und auf der daher notwendigen Maximierung der Kapitalanhäufung basiert.

Der Kapitalismus ist zudem ein internationales System, das einem stetigen Internationalisierungsprozess unterliegt. Zu Zeiten von Marx und Engels sprechen diese bereits im "Kommunistischen Manifest" selbst die Internationalisierung des Warenverkehrs an, wobei sie den alten Konkurrenzkapitalismus betrachten. Lenin hebt als ein wesentliches Charaktermerkmal des Monopolkapitalismus (Imperialismus) die Bedeutung des Kapitalexports hervor, d.h. die Internationalisierung des Kapitalverkehrs. Und womit wir es im heutigen Monopolkapitalismus zu tun haben, quasi in der dritten Etappe des kapitalistischen Internationalisierungsprozesses, das ist die Internationalisierung der Produktion selbst, das ist die kapitalistische Form der Vergesellschaftung der Arbeit im globalen Ausmaß. Geschaffen ist gewissermaßen der Weltmarkt für die Ware Arbeitskraft. Die Arbeitskraft ist aber eine besondere Ware und daher nützt dies in diesem Fall nur dem "Konsumenten", d.h. dem Käufer der Ware Arbeitskraft. Dieser Käufer kann weltweit die billigste Arbeitskraft suchen und die günstigsten Rahmenbedingungen für die Produktion. Und dieser Käufer ist das internationale Monopolkapital. Jeder Konzern, der überleben will, muss danach trachten, unter Bedingungen zu produzieren, die nicht nur keine Verluste oder sogar stabile Gewinne, sondern eben den maximal möglichen Profit bedeuten. In diesem Sinne kann es sich GM gar nicht leisten, weiterhin in Flint zu produzieren, wenn in Ost- und Südostasien die Arbeitskraft nur ein Zehntel kostet. Es geht gar nicht anders. Michael Moore hat es selbst gesagt, aber eben nicht die Konsequenzen verstanden: "Man nennt das Kapitalismus", schreibt Moore.

D.h. dass die Problematik, die für Moore an der Oberfläche erscheint, im Rahmen des Kapitalismus nicht zu lösen ist. Eine internationale ArbeiterInnenbewegung und v.a. eine international verbundene Gewerkschaftsbewegung kann den schlimmsten Auswirkungen des Systems Widerstand entgegensetzen und durch gemeinsame und solidarische Aktionen den Konzernen vielleicht das eine oder andere Zugeständnis abringen. Ebenso könnten subventionsbereite progressive, antiimperialistische, antimonopolistische Regierungen vielleicht einzelne Standorte entgegen der Marktlogik erhalten. Aber die kapitalistische, imperialistische Systematik ist natürlich nicht aufzuhalten. Diese kann man nur außer Kraft setzen, indem man das gesamte System außer Kraft setzt. Das System, wie Moore richtig sagt, nennt man Kapitalismus. Um in seiner Diktion zu bleiben: Die einzige Alternative, vor der Moore natürlich zurückschreckt, nennt man: S-O-Z-I-A-L-I-S-M-U-S, Sozialismus. In Flint, Michigan, – und auf der ganzen Welt.

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