Eulen nach Athen – γλαῦκ’ εἰς Ἀθήνας – zu tragen, ist nach landläufiger Meinung sinnlos, als Tätigkeit wie als Ansinnen. Das entsprechende Sprichwort leitet sich ab von einem Dialog aus der Komödie “Die Vögel”, die der griechische Dichter Aristophanes vor rund 2400 Jahren verfasst hat. In ihr bauen die Vögel eine stark befestigte Stadt über dem Horizont (das “Wolkenkuckucksheim”), um die Götter im Himmel zu erpressen und die Menschheit auf Erden zu unterwerfen. Am Tage herrschen die Vögel über die Präsenz der Adler, Nächtens durch jene der Eulen. Der Plan gelingt, die Vögel gelangen an die Macht und ihr Imperium erstreckt sich über den gesamten Erdkreis.
Konkret geht es bei den Eulen des Aristophanes übrigens um die Art des Steinkauzes (Athene noctua), Gattung der Steinkäuze (Athene), Familie der Eigentlichen Eulen (Strigidae). Der Steinkauz nistet von jeher nicht nur gerne in Baumhöhlen und dergleichen, sondern auch in steinernen Hinterlassenschaften von Menschenhand wie z.B. Tempelanlagen – und daher schon seit über zweieinhalbtausend Jahren in der Akropolis von Athen. Das ist sehr sinnig, denn Athen heißt Athen, weil es nach der Göttin Athene benannt wurde, nachdem diese den Bewohnern der damals noch namenlosen Siedlung ein nützlicheres Geschenk (einen Olivenbaum nämlich) überbracht hatte als Poseidon (ein Salzwasserbrunnen – nun ja…?). Und da schnappt sich der Vogel eben in die Schwanzfedern, denn der weisen Athene symbolisch zugeordnet ist die mutmaßlich weise Eule, womit diese wiederum auch zum Symbol Athens wurde.
Damit war die Eule (respektive der Steinkauz) im antiken Athen gleich mehrfach multipräsent, nämlich zoologisch in verstädterter Wildbahn sowie darstellerisch gezeichnet und in Stein gemeißelt. Beides jedoch – das ist die Crux an tradierter Weisheit, die sich auf kurze Sprichwörter reduziert – sind nicht jene Begebenheiten, auf die Aristophanes tatsächlich anspielen wollte. Als Symbol der Schutzgöttin und der Polis fand sich die Eule nämlich auch auf der Rückseite der antiken Drachmen, d.h. der athenischen Silbermünzen. Somit war der eigentliche, hintergründige Vorwurf des Aristophanes, in Athen gebe es schon genug Geld, ja genug Reichtum (natürlich nur für eine oligarchische Minderheit) – gleichzeitig ein Seitenhieb auf die zunehmend imperiale Politik Athens zu jener Zeit. Denn das literarische bzw. dramatische Wolkenkuckucksheim entspricht natürlich dem realen Athen, die Vögel sind die athenische Oligarchie.
Das Wolkenkuckucksheim unserer Tage ist die (Deutsch-)Europäische Union, die Vögel sind das deutsche Finanzkapital, das die Menschheit – vorerst die Völker Europas – komplett unterwerfen möchte. Was wäre passender, als mit dem griechischen Volk zu beginnen? Und in diesem Sinn sitzen die machtlosen und erpressbaren Götter, die nichts für ihre Menschheit tun können und sich nur selbst retten wollen, in der griechischen Regierung. Für die deutsche Vorherrschaft sollen die Eulen (das Geld) und die Adler (die Militärmacht) sorgen.
Heute wird übrigens die zuvor erwähnte alt-athenische Eule (der Steinkauz) auf die Rückseite der griechischen Variante der Ein-Euro-Münze geprägt – und auch dies passt sehr gut: Es ist in der Tat sinnlos, massenhaft Euro-Eulen nach Athen zu bringen, denn das Geld nützt nicht den arbeitslosen, hungernden und mittlerweile sogar in großer Zahl obdachlosen Menschen in Athen und anderen Städten, sondern es bedient bloß die Rückflüsse an westeuropäische Banken. Damit tut sich ein scheinbares, ziemlich bizarres Paradoxon auf: Je mehr Geld durch die EU nach Griechenland transferiert wird, desto ärmer werden die Menschen in Griechenland. Daraus kann man ein sphingisches Rätsel ableiten: Was wird immer nasser, je mehr es trocknet? (*)
Tatsächlich geht es aber um etwas Anderes. Tatsächlich gibt es auch in Athen genug Geld. Klingt komisch, wenn mehr als 20% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, an die 30% Arbeitslosigkeit herrscht und 20.000 Menschen in der griechischen Hauptstadt über dem Kopf kein Dach mehr haben, nicht einmal ein Fass. Doch wie überall im Kapitalismus ist das Geld nur ungleich verteilt, was ja auch dessen tieferer Sinn ist. Damit steht das griechische Volk in einer Zwei-Fronten-Auseinandersetzung, erstens gegen den imperialistischen Zu- und Durchgriff seitens Deutsch-Europas, zweitens gegen die eigene Oligarchie und deren sozialdemokratische, konservative und rechtsextreme Parteien, die gegenwärtig die Regierung bilden. Somit gibt es auch zwei Hauptaufgaben: Man muss sich dem Wolkenkuckucksheim EU entziehen und es zerstören; und den eigenen Kapitalisten, Reichen und Superreichen, deren Klassenherrschaft zu brechen ist, gilt die Forderung des Volkes: Her mit den Eulen!
(*) ein Handtuch