Das Projekt der Bolivarischen Revolution.
Der beinahe 200 Jahre andauernde Neokolonialismus in seinen verschiedenen Phasen hatte das Land in den Abgrund geführt. Die Bilanz von 1998 zeigte eine winzige superreiche Oberschicht mit einer ihr zugeordneten völlig abgewirtschafteten korrupten politischen Klasse, Staatsbürokratie und Justiz, dazu noch gewisse Sektoren der am Kuchen mit naschenden Mittelschicht. Demgegenüber lebten 80% der Bevölkerung in Armut, ein erheblicher Teil davon in extremer Armut, de facto ohne Zugang zu ihren staatsbürgerlichen Rechten, gesicherten Arbeitsverhältnissen, Bildung, Gesundheitsversorgung, angemessener Ernährung und Wohnraum etc..
Das war die südamerikanische Musterdemokratie nach dem Geschmack der Konzerne und des US-Imperiums, dessen Aufgabenteilung in „seinem Hinterhof“ Venezuela vor allem die Rolle der Billigst-Tankstelle für seinen maßlosen Erdölbedarf zugewiesen hatte. Auch heute hätten sie das gerne…
Die Notwendigkeit zum möglichst raschen Abbau der über Jahrzehnte angehäuften sozialen Schuld gegenüber dem Volk und dem Land setzte die Prioritäten des strategischen Befreiungsprojektes entlang von integralen Achsen wie:
1) die Priorität des Politischen wiedergewinnen gegenüber dem neoliberal-kapitalistischen Dogma des Primates der Wirtschaft/ Profitmaximierung, damit die Handlungsfähigkeit des Staates/des Volkes zur Selbstbestimmung seines souveränen Weges in Freiheit und Gerechtigkeit sichergestellt wird. Das ist im Laufe dieser 10 Jahre in einem zuvor undenkbaren Ausmaß gelungen.
2) das Soziale im emanzipierenden Sinne voranstellen: Arbeit, Arbeitsplätze und Arbeitsrechte, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Kultur, etc.. Insbesondere seit 2004 werden diese Aufgaben mit staatlicher (finanzieller) Unterstützung in den verschiedensten „misiones“ umgesetzt, vielfach mit und durch die organisierten Gemeinschaften für die Gemeinschaften. „Die Armut kann nur bekämpft werden, indem den Armen Macht gegeben wird – die Bolivarische Revolution ist ein Ermächtigungsprojekt für die bisher ausgeschlossenen Mehrheiten. Gleichzeitig auch für die Menschen der Mittelschicht, die den Ballast des rassistischen Elite-Denkens abgeworfen haben. Nebeneffekt ist, dass dadurch eine vielfach hinderliche oder sabotierende Staatsbürokratie umgangen werden kann, während von unten her neue Strukturen der organisierten Selbstverwaltung entstehen. Es wurde in den vergangenen 10 Jahren sehr viel erreicht, das weisen auch zahlreiche Untersuchungen von UNO und anderen Organisationen in trockenen Bilanzen nach. Trotzdem bleibt noch viel zu tun im Aufbau einer gerechten Gesellschaft.
3) das Wirtschaftliche hat den Menschen und der Gemeinschaft zu dienen. Verfassungsmäßige Garantie des privaten Eigentums an Produktionsmitteln, jedoch mit sozialen Einschränkungen und Bindung an die nationale Entwicklungsplanung sowie gleichgestellt mit staatlichem, sozialem und genossenschaftlichem Eigentum. Landreform und Kampf gegen vielfach illegalen Großgrundbesitz. In den vergangenen 10 Jahren gelang der Wiedergewinn der Kontrolle über die strategischen Bereiche der Wirtschaft wie Erdöl, Erdgas, Elektrizität, Telekommunikation, Grundstoff- und Schwerindustrie und ihr Ausbau im Interesse der Menschen. Venezuela hat das Joch der internationalen Finanzinstitutionen abgeschüttelt und kann seine Finanzpolitik und Entwicklung (relativ) autonom steuern. Das ermöglicht auch den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur bei Eisenbahn, U-Bahn, Straße etc.. Die geerbte Erdölproduktions-Monokultur wird durch Diversifikation der Wirtschaft und Aufbau neuer Industrien – mit Technologietransfer meist aus den Ländern des Südens – ausbalanciert. Es gelang der Neuaufbau und die Stärkung der darniederliegenden Landwirtschaft, womit die Lebensmittelversorgung gesichert werden wird – was sich gerade in diesen Zeiten als segensreich herausstellt. In den letzten Jahren schreitet der Aufbau von Betrieben der sozialen Produktion voran, die sozialistischen Unternehmen, die in den Nachbarschaften eingebettet sind und deren Gewinne der Gemeinschaft zugute kommen. Teil des im Aufbau befindlichen Sozialismus des 21.Jhts in Venezuela. Bezüglich des am BIP gemessenen Wachstums liegt Venezuela seit Jahren im weltweiten Spitzenfeld.
4) eine neue (Alltags-)Kultur ist die Seele des revolutionären Projekts – eine Revolution ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie die alten Ideologien und Wege, die in den Abgrund geführt haben, nicht grundlegend verändert. Daher: Rückbesinnung auf die eigene Geschichte und Werte, ohne Hinterwäldlertum und ohne importierte “Ideale” wie dem elitären Eurozentrismus oder der nordamerikanischen kapitalistischen Konsum-Ideologie und -Kultur. Diese ethische Neubesinnung und Werte-Revolution stellt die solidarisch-sozialistische Gemeinschaft sich emanzipierender Menschen in den Mittelpunkt – nein danke zum Egoismus der kapitalistischen Kauf-mich-Verkauf- mich-Welt. Sie schöpft aus dem reichen Erfahrungsschatz der nicht-kapitalistischen Erfahrungen der Menschheit. Ein andauernder emanzipatorischer Lernprozess.
5) eine Neuorientierung der Internationalen Politik. Einige Eckpunkte: aktive Positionierung in der entstehenden multipolaren Welt; Frieden und friedliche Lösung von Konflikten; strikte Respektierung der Menschenrechte, staatlicher Souveränität und Internationaler Abkommen – also antiimperialistisch. Venezuela und Hugo Chavez werden im Laufe der vergangenen 10 Jahre zu einem der wichtigsten Sprecher des Südens und der Menschheit sowie ein entscheidender Motor für die regionale Integration/Union Lateinamerikas/der Karibik und der Süd-Süd-Kooperation, ohne dabei möglichst gute Beziehungen zum Norden außer Acht zu lassen. Entsprechend wird er und die Bolivarische Revolution angefeindet und bekämpft.
Die Feinde der Bolivarischen Revolution sind intern die alten herrschen Eliten, immer noch mächtig und gestützt auf ihre Privatmedien als eigentlicher Opposition, denn die parteipolitische Opposition ist heillos zerstritten und hat kein Alternativprogramm für Venezuela – außer: weg mit Chavez, mit allen Mitteln. Sie agieren als verlängerter Arm Washingtons und der Konzerne. Die Neue-Welt-Ordnung ist der eigentliche Feind, der die venezolanische Demokratie und den Prozess seit 10 Jahren zu torpedieren versucht. Am 11.April 2002 mit dem zivil-militärischen Putsch, zum Jahresende 2002/2003 mit dem Erdölsabotage-Putsch und in der Folge weniger spektakulär, aber andauernd versuchend zu destabilisieren. Auch jetzt wieder vor den Novemberwahlen. Ähnlich wie in Chile bis hin zum 11.09.1973 – aber Venezuelas Revolution ist bewaffnet.
Es gilt, wachsam zu sein und sich nicht durch die gleichgeschaltete Desinformationsmaschinerie, auch hier bei uns, täuschen zu lassen!
In der Verfassung der Bolivarischen Republik von Venezuela, die 1999 in ihrem beispielhaften partizipativen Zustandekommen und ihrer Annahme per Volksabstimmung bereits Wege und Ziele der Bolivarischen Revolution markiert, finden sich die Fundamente der Bolivarischen Revolution: Weiterentwicklung der repräsentativen zu einer partizipativ-protagonischen Demokratie, und dann seit 2005 hin zum Sozialismus des 21. Jhts – alles für und durch das Volk Venezuelas als Teil der kontinentalen lateinamerikanisch-karibischen Familie.
Zu Venezuela gibt es noch viel mehr zu erfahren. Ihr findet Aktuelles und Grundsätzliches auf Deutsch z.B. unter: www.america21.de und http://www.venezuela-aktuell.de/index.php
Carlos Troger, am 21.09.2008