Was US-amerikanische Konzerne auf nationaler Ebene nicht geschafft haben, soll jetzt international umgesetzt werden. Die Rede ist von ACTA. Neben der Zensur im Internet verstecken sich hinter diesen vier Buchstaben aber noch ganz andere Grauslichkeiten.

Von WALTER WEISS

Inzwischen heiß umkämpft und wild umstritten ist das menschenrechtswidrige Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz: ACTA, vorerst aufgeschoben. Der weltweite Widerstand hat also einen ersten Erfolg gezeitigt.

Worum geht es bei ACTA?

ACTA stellt jede und jeden unter Generalverdacht. Die Provider müssen nämlich jedes einzelne Datenpaket, das ein Computer sendet oder empfängt, überprüfen, da sie mit haftbar gemacht werden können, wenn urheberrechtlich geschütztes Material „missbraucht“ wird. Ein YouTube-Video mit einem aktuellen Chart im Hintergrund hochladen, und schon ist man kriminell. Noch dazu war in einer früheren Fassung des Regelwerks vorgesehen, Internet-NutzerInnen die dreimal „straffällig“ werden – es hätte gereicht, dreimal MP3s herunterzuladen – den Zugang zum Netz abzudrehen.

Angenommen man zeigt jemand Bekannten ein Kochrezept, das man in einem bezahltem Kochkurs erlernt hat. Was eigentlich ganz normal sein sollte, wird mit dem Inkrafttreten des Abkommens mitunter zur Straftat. Diese wird dann mit immensen Geldsummen oder Freiheitsentzug geahndet. Im schlimmsten Fall kann das auch die Menschen treffen, denen man das Rezept gezeigt hat.

Natürlich wird hier von der EU beschwichtigt und gesagt, dass das so nicht vorgesehen wäre. ACTA macht es aber möglich. Und was einmal möglich ist, wird auch genutzt.

Die wahre Sauerei

Durch den sogenannten „Schutz“ von Markennamen können nicht nur im Urlaub gekaufte Sonnenbrillen, die sich als Fälschung herausstellen, strafbar sein. Im großen Maßstab bedeutet ACTA hier die Einschränkung zum Zugang von billigem Saatgut und Generika, also Medikamenten, die den gleichen Wirkstoff besitzen, aber anders hergestellt werden. Bestes Beispiel hierfür sind Mittel mit Acetylsalicylsäure wie z.B. bekannte Kopfschmerztabletten.

Um die Lieferung von nachgemachten billigeren Medikamenten, die in der dritten Welt beispielsweise zur AIDS-Behandlung eingesetzt werden, zu stoppen, ermächtigt ACTA Industriekonzerne dazu, in die Grenz- und Zollbestimmungen einzelner Länder einzugreifen. Sobald eine Lieferung mit Generika die Grenze eines Landes passiert, in dem ACTA ratifiziert wurde, kann sie aus dem Verkehr gezogen werden, selbst wenn es sich um ein Transitland handelt und die Produkte im Herkunfts- und Zielland legal verkauft werden dürfen.

Das alles nur um „dauerhaftes Wachstum der Weltwirtschaft“ zu gewährleisten, „gefährliche Produktimitate aus dem Verkehr zu ziehen“ und den „wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu helfen die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten“, wie es die EU-Kommission nennt.

Diese Wettbewerbsfähigkeit wird vor allem daraus gezogen, dass an einer öffentlichen Einrichtung, etwa einer Universität, geforscht wird. Das Patent an einer Erfindung gehört dann jedoch nicht der Universität oder der Allgemeinheit, sondern fällt oft einem privaten, ausschließlich nach Profitinteressen operierenden Konzern zu. einer Firma, in der ein paar Aktionäre das sagen haben und sich mit der von der Öffentlichkeit erbrachten Leistung ein schönes Leben finanzieren.

Hinter verschlossenen Türen

Wie im Kapitalismus üblich wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt. Gewählte VolksvertreterInnen wurden von vornherein ausgeschlossen. Erst als der Text fertig war, durften sie ihre Rolle als Stimmvieh der Konzerne wahrnehmen. Bevor das Volk offiziell informiert wurde, wussten natürlich Pharmakonzerne, die Unterhaltungsindustrie und Computerriesen wie Dell, Google und eBay längst bescheid. Und obwohl mit den Verhandlungen schon 2006 begonnen wurde, gab es der Öffentlichkeit zugängliche Informationen erst 2008 und das nur dank „Schurkennetzwerken“, wie WikiLeaks.

Womit niemand gerechnet hatte

Viele Menschen weltweit erkannten, was mit diesem Abkommen möglich werden könnte, ließen sich nicht blenden, machten ihre Wut darüber zu Widerstand und gingen auf die Straße.

Die Proteste führten dazu, dass Tschechien, Polen und die Slowakei, die sonst als sehr kapitalfreundliche Staaten gelten, die Ratifizierung von ACTA vorerst aussetzten. Polnische RechtsexpertInnen etwa haben festgestellt, dass ACTA der polnischen Verfassung widerspricht. Auch in Österreich wurde ACTA vorerst auf Eis gelegt, obwohl es von der Regierung schon unterzeichnet wurde. Unnachgiebig zeigt sich allerdings die EU-Kommission, die mit ihrer Haltung wieder einmal klar macht, wem die EU überhaupt dient. Sie führte den Widerstand, der sich in den letzten Wochen regte, auf „unzureichende Informationspolitik“ zurück. Trotzdem sah man sich gezwungen, den Text am Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – Jetzt nicht locker lassen!

Am wichtigsten ist es aber zu erkennen, dass nicht nur ACTA das Leben, wie wir es kennen, bedroht. Dieses Abkommen ist ein ganz natürlicher Abkömmling des Kapitalismus, in dem – wie schon so oft bewiesen – die Profitinteressen weniger Banken und Konzerne mehr zählen, als die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Die Art und Weise, wie ACTA ausgehandelt wurde, zeigt, dass der Kapitalismus auf die Demokratie nicht angewiesen ist. Im Gegenteil, sie erschwert ihm sogar die Arbeit.

Wissen, Informationen, Kunst und Kultur sind Dinge, die allen gehören. Nur in einem perversen System wie dem Kapitalismus kann Allgemeingut von einzelnen für sich beansprucht werden.

Ein Nein zu ACTA ist daher ein Nein zur Zensur, zur Beschränkung der Privatsphäre und zur Aufhebung der (immer weiter eingeschränkten) Freiheit. Ein Nein zur permanenten Überwachung und Transparenzmachung jedes und jeder Einzelnen. Und ein Nein zum Mord in der dritten Welt, wo Menschen sterben, weil sie keinen Zugang zu leistbaren Medikamenten haben. Ein Nein zu ACTA muss aber auch ein Nein zu diesem System sein, das solche Abkommen erst möglich macht!

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Darum gilt es, dieses Nein alle Damen und Herren in Wien, Brüssel und Washington laut und deutlich hören zu lassen, damit ACTA endgültig ad acta gelegt wird!

WALTER WEISS studiert Chemie an der TU Graz und ist Aktivist des KSV.