Von Christian Bunke, Manchester (Junge Welt)

In Großbritannien haben sich die durch den Tod eines von Polizeikugeln getroffenen Familienvaters in London ausgelösten Unruhen in der Nacht zum Dienstag ausgeweitet. Sie erreichten mittlerweile auch Birmingham, Nottingham, Liverpool und Bristol. Mehrfach wurden Polizeiwachen attackiert, ganze Einkaufsstraßen verwandelten sich in Schlachtfelder. Ein 26jähriger wurde inmitten der Ausschreitungen in einem Auto erschossen, teilte die Polizei am Dienstag mit. Premierminister David Cameron brach seinen Urlaub ab, kehrte gestern mittag nach London zurück und berief für Donnerstag eine Sondersitzung des Parlaments ein. Die Londoner Polizei soll ab sofort mit 16000 Beamten im Einsatz sein, jeder Urlaub für sie ist gestrichen. Das für den heutigen Mittwoch geplante Fußball-Länderspiel England gegen Niederlande wurde abgesagt, ebenso Spiele im Ligapokal – und das ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in London. In Berlin rief das Auswärtige Amt bei Reisen in die betroffenen Städte angesichts der »Riots« zu »besonderer Vorsicht« auf.

Britische Politiker und Medien forderten einen Einsatz des Militärs. Die konservative Innenministerin Theresa May weist zwar bislang Rufe nach der Armee zurück, die auch aus ihrer eigenen Partei erhoben werden. Die Polizei setzt mittlerweile allerdings zum ersten Mal außerhalb Nord­irlands gepanzerte Fahrzeuge ein. Bis Dienstag mittag zählte die BBC 525 Festnahmen. »Wer alt genug ist, Verbrechen zu begehen, ist auch alt genug, die ganze Macht des Gesetzes zu spüren«, sagte Regierungschef Cameron. Von seinem Stellvertreter Nick Clegg und Oppositionsführer Ed Miliband war ähnliches zu hören. Nur der frühere Londoner Bürgermeister Ken Livingstone brachte die Unruhen mit den Sparpaketen der Regierung in Verbindung. Daraufhin wurde ihm von konservativer Seite sofort zynischer Populismus vorgeworfen.

Unterstützt wurde Livingstone hingegen von dem Fußballfanzine A Fine Lung aus Manchester, das die Lage kommentierte: »Nimm eine Gesellschaft, in der Geld der einzige Weg ist, um voranzukommen. Nimm eine Gesellschaft, in der das reichste Prozent der Bevölkerung 20 Prozent des Reichtums besitzt, und die ärmsten 50 Prozent nur sieben Prozent. Du nimmst der Jugend die Beihilfe weg, so daß sie nicht mehr aufs College kann. Du sagst ihnen, daß sie 30000 Pfund Schulden für einen Universitätsabschluß machen müssen, der ihnen nicht mal einen Job garantiert. Du kürzt lokale öffentliche Dienstleistungen und streichst die Jobs ihrer Eltern. Du kriminalisierst sie dafür, daß sie sich in Gruppen zusammentun und nennst es antisozial. Und wenn sie dann aus den Vierteln herauskommen, in die du sie eingesperrt hast, um sich auf Straßen, die ihnen von der Polizei verweigert werden, aus Läden, die ihnen den Eintritt verweigern, die Waren zu holen, die sie sich nicht leisten können, dann ist alles was du sagst: Das ist reine Kriminalität.«

In Großbritannien verhängt die Polizei Platzverweise, die speziell dazu dienen, Jugendliche von der Straße zu vertreiben. Sie werden systematisch aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Nun setzen die Kürzungen noch eins drauf. In Haringey, dem Stadtteil in dem alles begann, wurden die Mittel für Jugendarbeit um 75 Prozent gekürzt.

Dankend übernommen von: