Bei den in diesem Semester stattfindenden Lehrveranstaltungen namens
„Corona als transdisziplinäre Herausforderung“ (Uni Wien),
„Corona und Klimawandel – eine transdisziplinäre Herausforderung“ (TU Wien) und
„Corona und Klimawandel – eine multidisziplinäre Herausforderung“ (Boku)
handelt es sich um eine Ringvorlesung in Kooperation der drei Unis. Während es auf der Hauptuni bereits zu Kritik aufgrund der Ausrichtung und Referent:innen kam, blieb dies auf der TU Wien und Boku aus.
TRANSPARENZ AN TU WIEN UND BOKU
Grund hierfür war vermutlich, dass an diesen Unis die Details der Vorlesung nicht ohne weiteres einsehbar waren: Nur wer sich für die Vorlesung angemeldet hat, konnte das Programm und die Referent:innen der Vorlesung einsehen. Dies ist besonders bei einer multiuniversitären Ringvorlesung sehr unüblich. Zudem scheint der Name der Vorlesung nicht dem Wesen und der Ausrichtung zu entsprechen.
Wir als KSV verurteilen dieses intransparente Vorgehen von TU Wien und Boku.
Und das nicht aus dem Grund, dass wir uns eine hohe Teilnehmer:innenzahl für die Vorlesung wünschen oder sie für eine Bereicherung für die Lehre halten.
WER IST PROF.DR. SÖNNICHSEN:
Ganz im Gegenteil: Einige Referent:innen sind zutiefst kritikwürdig, beispielsweise Prof.Dr. Sönnichsen (Med-Uni Wien), laut STANDARD [1] auch Teil des Vorbereitungskomitees der Vorlesung. Als Mitglied des „Außerparlamentarischen Corona Untersuchungsausschuss“ forderte er im Oktober 2020 in Mitten des 3. Lockdowns eine Rücknahme aller Coronamaßnahmen wie PCR-Tests, Maskenpflicht und Lockdown [2]. Darüber hinaus ist er Platz-1-Listenkandidat der Partei „dieBasis“ in Bayern, der parteipolitische Arm der Querdenkenbewegung und Sammelbecken für Faschist:innen der Verschwörungsszene.
HAUPTTHESEN DER VORLESUNG
In der Vorlesung stellt er die Frage „Wie gefährlich ist COVID-19?“. Mit Hilfe verschiedener Statistiken bringt er den vermeintlichen Beweis: Nur für gewisse Risikogruppen, nämlich Alte und Vorerkrankte ist COVID-19 wirklich gefährlich. Für Menschen unter 45 sei die Erkrankung „nicht existent“. Deswegen sei der Lockdown für die Gesamtbevölkerung schädlicher als die Corona-Erkrankung. Nur besagte Risikogruppen müsse man gezielt schützen.
Was das konkret bedeuten soll, wird nicht weiter definiert. Abgesehen davon, dass es mehr als gute Gründe gibt, auch als vermeintliche:r Nichtrisikopatient:in eine Infektion zu vermeiden, ist es de facto nicht möglich Risikogruppen gezielt zu schützen, ohne sie über eine lange Zeit gesellschaftlich komplett zu isolieren. Und selbst dann würde es im Falle einer flächendeckenden Durchinfizierung zu massenhaft schweren bis tödlichen Erkrankungen bei Risikopatient:innen kommen.
IDEOLOGIE UND WISSENSCHAFT
Es ist zu bezweifeln, dass Prof.Dr. Sönnichsen das nicht selber weiß. Vielmehr liegt seinen und anderen ähnlichen Positionen ein ganz bestimmtes Weltbild und Naturverständnis zugrunde: Nämlich, dass das Leben „leistungstragender“ Menschen wichtiger ist als das von anderen und es ein unveränderbares Naturgesetz ist, dass Alten und Kranken auf dieser Erde kein würdiges Leben zusteht.
Dieses Weltbild findet sich dabei nicht nur bei Prof.Dr. Sönnichsen, sondern auch bei denen, die er vermeintlich so radikal kritisiert: Nämlich den „Staat“ und seinen politischen Entscheidungsträger:innen. Das bezeugen unter anderem die über 12.000 Coronatoten in Österreich, von denen ein Großteil vermeidbar war. Letztendlich ist beiden egal, wie es dem Großteil der Menschen, insbesondere dem Intensiv-Spitalspersonal und den Risikogruppen mit den Maßnahmen ergeht.
CORONAKRISE UND KRITIK
Die Schuldigen für die Krise sehen viele (links)liberale Medien in dem:der „Schwurbler:in“, der:die „ungebildet“ und „dumm“ ist und auf Coronademos lustige Hüte trägt. Diese Kritik ist oft moralisch aufgeladen und endet nicht selten in einem allgemeinen bildungsbürgerlich-chauvinistischen Erheben gegenüber marginalisierten Menschen ohne hohen Bildungsabschluss.
So sehr diese „Schwurbler:innen“ doch auch gefährlich und zu bekämpfen sind, tragen nicht sie die Verantwortung für das desolate Coronamanagement in Österreich. Sie haben auch nicht annährend ähnliche Einflussmöglichkeiten wie ein Prof.Dr. Sönnichsen als Abteilungsleiter für Allgemeinmedizin an der MedUni Wien. In Wirklichkeit sind die „Schwurbler:innen“ oft nicht mehr als nützliche Idioten für Staat und Kapital. Die Funktion von Menschen wie Prof.Dr. Sönnichsen ist eine viel weitreichendere.
Berechtigte Kritik an der Coronapolitik gerät immer weiter aus dem Fokus. Die arbeitende Bevölkerung und auch wir als Studierende leiden tatsächlich stark unter den Maßnahmen: Die Einschränkungen für die Bevölkerung betreffen überwiegend die alltägliche Freizeit, Wintertourismus mit internationalen Gästen kann uneingeschränkt stattfinden. Vor allem Frauen werden oft mit Sorge- und Hausarbeit alleine gelassen. Die häusliche Gewalt steigt. Maßnahmen werden völlig undurchsichtig beschlossen und wieder aufgehoben. Es gibt teils keine Gewissheit darüber, wie der Alltag in den folgenden zwei Tagen aussehen wird. Schlussendlich lebt man auch trotz harter Maßnahmen als Risikopatient:in immer noch in Unsicherheit, sofern man sich nicht komplett gesellschaftlich isoliert. Die sowieso schon desolate Situation für Angestellte in Spitälern verschärft sich zunehmend. Gleichzeitig laufen Industriebetriebe durch alle Lockdowns hindurch munter weiter und Großunternehmen verbuchen historische Rekordgewinne.
Wir als KSV fordern eine Stellungnahme des Direktorats der Technischen Universität Wien sowie der Universität für Bodenkultur Wien über das Zustandekommen, dem Vorgehen mit der Ringvorlesung sowie den darin getätigten inhaltlichen Aussagen.
Quellen:
[1] https://www.derstandard.at/story/2000130170845/corona-kritische-ringvorlesung-an-uni-wien-sorgt-fuer-kritik
[2] https://www.online-zfa.com/fileadmin/user_upload/Editorial_1_2021.pdf
[3] https://taz.de/Die-Partei-dieBasis-und-ihre-Vorsitzende/!5767969/