Nagls Befragung: Eine Behübschung des Belastungskurses
Am 27. Jänner haben wir eine pompöse Inszenierung erlebt. Alle ÖVP-Granden waren in der ersten Reihe in der Listhalle zu sehen, wie sie die Erfindung der Bürgerbeteiligung durch Bürgermeister Nagl miterlebten. Und in ein paar Wochen werden wir eine weitere Inszenierung erleben: Die Grazer ÖVP wird verkünden, dass ihre Umfrage massiv unterstützt wird und dass sie die Partei wäre, die das tun würde, was die Leute wollten. Der Beifall von mindestens einer Massenzeitung ist ihr jetzt schon sicher. Kritische Fragen werden ausgeblendet. Vor allem die wichtigste: Warum soll man die Freischaltung der ÖVP-Wahlkampfseite „pro graz“ (sie war schon im Wahlkampf 2008 im Netz) als Form der Bürgerbeteiligung bejubeln? Es ist in österreichischen Wahlkämpfen schon fast ein Gesetz: Die Kandidaten reden nicht über das, was sie getan haben, sondern sie reden über das, was sie tun wollen, sie möchten ein Klima schaffen, in dem sie als die einzigen Erneuerer angesehen werden. Da würden nüchterne Zahlen – etwa über die Umsetzung der Vorhaben aus dem Jahr 2008 oder über die wirkliche Finanzlage der Stadt oder über die ständigen Postenbesetzungen mit Parteifreunden aus Politsekretariaten – nur das Bild trüben, etwas Neues muss her: Die Behübschung des Belastungskurses in Bund, Land und Stadt mit „Bürgerbeteiligungsmodellen“.
Volksrechtegesetz
Da stören existierende Bürgerbeteiligungsmodelle nur. Die Steiermark hat ein Volksrechtegesetz, das gar nicht so übel ist. Es wurde seinerzeit unter Landeshauptmann Josef Krainer II. vor allem von Bernd Schilcher und Gerhard Hirschmann entworfen. Unter anderen sieht es vor, dass der Grazer Gemeinderat jederzeit den Beschluss fassen kann, eine Volksbefragung über ein Thema, das die Stadt berührt, durchzuführen. Nagl weiß das: Er hat erst vor wenigen Monaten gemeinsam mit SPÖ und FP den Antrag abgelehnt, eine Volksbefragung zum Thema Murkraftwerk Puntigam anzusetzen. Das Volksrechtegesetz gibt den wahlberechtigten Stimmbürgern die Möglichkeit, trotzdem eine Volksbefragung von unten durchzusetzen. Dazu sind in Graz 10.000 Unterschriften notwendig, die derzeit gesammelt werden. Die KPÖ hat im Jahr 2004 auf diesem Weg eine Volksbefragung über die Zukunft der Gemeindewohnungen erzwungen. Für Nagl ist das alles nichts. Er wertet das geltende Volksrechtegesetz, das er zu vollziehen hat, in der Öffentlichkeit ab. Gemeinsam mit der SPÖ hat er im Gemeinderat mehrheitlich den Beschluss über Bürgerbefragungen gefasst, der in vielen Punkten seiner jetzigen Wahlkampfaktion ähnelt: Mit zwei wichtigen Unterschieden. Die Fragestellung solcher Befragungen muss vorher im Stadtsenat und im Gemeinderat beraten werden. Und auch diese geheime Befragung unterliegt einer demokratischen Kontrolle. Fälschungen des Ergebnisses sind faktisch ausgeschlossen. Nagl besitzt dieses Instrument seit Monaten. Er hat es nicht ausgenützt. Im Gegenteil: Bei der Propaganda für sein Wahlkampfmodell tut er so, als ob es diesen Gemeinderatsbeschluss nicht gäbe. Allein dadurch entwertet er seine jetzige Aktion. Selbst ein Michael Häupl hat als Bürgermeister von Wien seine Befragungen, die er knapp vor der Gemeinderatswahl 2010 abhalten ließ, von den Rathausgremien absegnen lassen. Vielleicht haben sich die Wahlkampfstrategen des Grazer Bürgermeisters von dem Volksbefragungsspiel in Wien inspirieren lassen. Sie sollten bedenken, dass in Wien am Ende dieses Spieles eine Wahlniederlage des Bürgermeisters gestanden ist.
Wie ist Nagl vorgegangen?
Er hat nach Wochen der Geheimniskrämerei 5 Fragen aus dem Hut gezogen. 2 von ihnen (verpflichtendes Sozialjahr, Zwangsarbeit für Mindestsicherungsempfänger) dienen dem Wahlkampf der VP gegen die FP, eine – jene zum Murkraftwerk, das im Begleittext in den hellsten Farben geschildert wird – soll Stimmen von Estag-Mitarbeitern und eventuell von einfältigen Murkraftwerksgegnern bringen, eine Frage soll mit Nein beantwortet werden (Umweltzonen – auch hier schimmert das Häupl-Vorbild durch, der in Wien die City-Maut mit dem erwarteten Ergebnis abfragen ließ) und eine, die erste, ist sinnlos: Es gibt nämlich das von Nagl geforderte Modell der Bürgerbefragung bereits als Gemeinderatsbeschluss. Man muss nur wollen. Dazu braucht man keine Umfrage.
Viele offene Fragen
Die Wahlkampfumfrage der ÖVP ist ein gutes Marketinginstrument. Bürgermeister Nagl kann sich als erneuerungswillig darstellen und muss nicht über die Auswirkungen der Belastungspakete auf Graz reden. Wenn viele Leute auf diese Taktik hineinfallen, steigert das seine Aussichten bei der Gemeinderatswahl. Demokratiepolitisch beschreitet er aber einen sehr fragwürdigen Weg. Es kommt zur Abwertung demokratischer Prozesse, die notwendigerweise formal nicht watscheneinfach sein können und bei denen wirksame Kontrollmechanismen eingebaut sein müssen. Wenn Nagl, um das Volksrechtegesetz abzuwerten, sagt, dass die Leute nicht an einem Sonntag in ein Abstimmungslokal gehen wollen, dann stellt sich die Frage, warum die Menschen am Wahlsonntag ins Lokal gehen sollen, um ihre Stimme für eine Partei abzugeben. Noch fragwürdiger ist die Kontrolle der bei seiner Umfrage abgegebenen Stimmen. Es gibt keine persönlichen Verständigungen, bei der angewandten Methode ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Wenn die kritischen Anmerkungen in der Internetdiskussion der „Kleinen Zeitung“ auch nur annähernd stimmen sollten, erleben wir zurzeit nicht einen demokratiepolitischen Meilenstein sondern im Gegenteil ein demokratiepolitisches Fiasko. Ich zitiere: „Jeder in Österreich kann bei dieser Abstimmung mitmachen. Nur mit der Nummer am Stimmzettel ein SMS schicken und schon bekommt man einen Code.“(jahcity) „Was treibt eigentlich die ÖVP mit dieser Art gesammelten Telefonnummern? Jeder, der dieser Art die Codes anfordert kriegt sie, egal ob Grazer oder Nichtgrazer. Das ganze ist eine Farce!“(draconaut) „Eine Aktion auf der ÖVP-Homepage, wo die eigenen Leute Zugriff auf Codegenerator und Datenbank haben um bei Bedarf den Ergebnissen nachzuhelfen, ist völlig unglaubwürdig und die Ergebnisse von vornherein für die Fisch.“ (menatwork) „Die Umfragedaten können jederzeit von jemandem verändert werden, der Zugriff auf die Datenbank hat. Stellen sie sich das so vor, als ob bei einer “Papierumfrage” diejenigen, die die Umfrage in Auftrag gegeben haben, einfach selbst so viele Bögen ausfüllen, bis das Ergebnis passt. Nur das es digital viel schneller und einfacher geht. Der einzelne Bürger hat keine Kontrolle über sein und das Gesamtergebnis. Deswegen wurde auch die Onlinewahl (bei den ÖH Wahlen) vom Verfassungsgerichtshof als gesetzeswidrig eingestuft – und dort gab es viel mehr Kontrollen als bei einer Abstimmung über die ÖVP Homepage.(deingewissen). Das bedeutet: Man kann die Ergebnisse dieser Umfrage, wenn sie Mitte Februar bekannt gegeben werden, glauben – oder auch nicht. Sie erfüllt ihren Zweck nur, wenn um einen durchschnittlichen Bürgermeister die Aura des Besonderen geschaffen wird. Nach dem ÖVP-Einbruch bei der Landtagswahl 2010 ist dies aus Wahlkampfgründen notwendig. Die Grazer Bevölkerung hat aber andere Sorgen. Das tägliche Leben wird immer teurer. Die Menschen würden auch in Graz Politikerinnen und Politiker brauchen, die ihre Probleme und Anliegen vor die Interessen der Bauspekulanten, der Banken und der VertreterInnen des Establishments stellen. Genau dieses Establishment war aber am 27. Jänner in der List-Halle sehr stark vertreten und hat dem Bürgermeister applaudiert.