Zwischen den Professoren und den Studierenden gibt es neben dem Mittelbau und dem allgemeinen Personal noch eine große Zahl an Lehrenden und Forschenden, die von keiner Lobby unterstützt und von keinen Organisationen vertreten werden:
Wir sind die – im weitesten Sinn – prekär Beschäftigten der Universitäten: externe Lehrende, Projekt- und Drittmittelangestellte, befristet und in Teilzeit Angestellte. Solche atypischen Dienstverhältnisse werden immer mehr, insbesondere im Wissenschaftsbetrieb. Stillschweigend wird von uns erwartet, dass wir uns „persönlich engagieren“, also ein bisschen mehr leisten als wir vertraglich verpflichtet wären. Wir werden an der unteren Grenze der üblichen Gehälter bezahlt. Dadurch, dass wir stets mehr Zeit investieren als in den Verträgen steht, ist es meist unmöglich, daneben anderen Erwerbstätigkeiten nachzugehen, um auf ein volles Gehalt zu kommen. Allen von uns wird suggeriert: „sei froh, dass du überhaupt an der Uni arbeiten kannst!“ und viele von uns glauben es, sind froh und engagieren sich weiterhin weit über das unterbezahlte Maß hinaus: wie konnte es passieren, dass Extremsituationen zur Normalität wurden, wie im Fall des Kollegen, der für seine halbe Stelle üblicherweise 50 Stunden pro Woche arbeitet, da er ansonsten seiner Lehrverpflichtung nicht in ausreichender Qualität nachkommen kann? Wie im Fall jener Kollegin, die nun, nachdem sie vier Jahre lang ihre Qualifikation maximiert, publiziert, unterrichtet und Abschlussarbeiten betreut hat, von ihren Vorgesetzten hochgelobt – auf der Straße steht, weil sie nach Vertragsende eine zweijährige Zwangspause einhalten muss? Wie in den Fällen so vieler externer Lektorinnen und Lektoren, die seit heuer für den gleichen Unterrichtsaufwand plötzlich bis zu 20 Prozent weniger ausbezahlt bekommen? Warum müssen viele Angestellte heuer bis zu doppelt so viele Einheiten unterrichten als zuvor, während ihr Gehalt gleichbleibt?

Nach dem Studienabschluss solle man Auslandserfahrung sammeln, sagen sie. Das stimmt, wenn eine Möglichkeit besteht, möge man ins Ausland gehen – de facto bleibt uns oft nichts anderes übrig! Wer jedoch, der einmal eine Stelle in England, den USA, Deutschland oder China bekommen hat, möchte danach wieder nach Österreich zurückkehren, bei diesen Arbeitsbedingungen? Ist das die Strategie der Regierung und Universitätsleitungen: die besten Köpfe nach langer Ausbildung gewinnfrei zu exportieren? Denn sie kommen nur sehr selten zurück.

Und wenn schon – was würde denn passieren, wenn die Universitäten weiterhin unterfinanziert und die Angestellten unter Druck gesetzt werden? Wer benötigt denn die Universitäten, warum sollen sie unterstützt werden, sitzen dort nicht bloß Bummelstudenten und realitätsfremde Philosphen in Elfenbeintürmen?

Liebe Österreicherinnen und Österreicher, die denken, wir würden nur für uns protestieren, für mehr Geld und mehr Komfort in unserer täglichen Arbeit – bedenken Sie, Sie haben doch Kinder, Enkelkinder, oder werden welche haben! Woher kommen denn die Lehrerinnen und Lehrer, die Ihre Kindern in der Schule fürs Leben vorbereiten sollen? Möchten Sie, dass diese Lehrpersonen durch ein Blitzstudium gepresst, und von überarbeiteten, unterbezahlten und demoralisierten Hochschulangestellten ausgebildet werden? Wollen Sie das Ihrem Nachwuchs antun? Oder: sollten Sie krank werden – ich wünsche es Ihnen nicht, insbesondere wenn man bedenkt, woher die Ärztinnen und Ärzte kommen, die sich Ihrer annehmen werden: ausgewählt durch statistische Tests, ausgebildet von demotivierten Assistentinnen, die schon beim Abspulen ihres Standardprogrammes Stress verbreiten, weil sie neben ihrer Unterrichtstätigkeit zwei weitere Jobs brauchen, um selbst über die Runden zu kommen? Möchten Sie sich von Medizinerinnen operieren lassen, die aus unterfinanzierten Universitäten kommen? Und – Gott behüte – Sie könnten auch völlig unschuldigerweise einmal Rechtsvertretung benötigen: würden Sie sich gut vertreten fühlen von Anwältinnen oder Anwälten, die in Mindeststudiendauer Gesetzestexte auswendig gelernt haben, um Kreuzerltests zu bestehen? Die nie selbständig zu denken gelernt haben, weil an der Universität kein Geld für Lehre und Betreuung da ist?
Neben dem Skisport schmückt sich Österreich auch gerne mit unserer Kultur. Philhamoniker, Festspiele, Stephansdom und Uhrturm: doch woher sollten die Dirigenten, Musikerinnen, Schauspieler, Architektinnen, Restauratoren und Literaturkritikerinnen kommen, wenn die Kunst- und Musikuniversitäten genauso systematisch zu Tode gespart werden, wie alle anderen Hochschulen?

Auch Sie, Österreicherinnen und Österreicher, benötigen die Universitäten, alle brauchen die Universitäten, wir als Angstellte ebenso wie Sie als potentielle Opfer unfähiger Lehrer, kunstfehlergewohnter Ärztinnen, minderbemittelter Künstlerinnen, ignoranter Anwälte.

Alle Menschen in Österreich brauchen die Universitäten.

Bernd Brabec de Mori
Der Text basiert auf einer Rede, die auf der Demonstration am 19. Oktober 2010 Graz gehalten wurde.