Wir* versuchen Fragen zu beantworten, die in diesem Zusammenhang oft gestellt werden.
1. Ist der Austritt aus der EU nicht eine Forderung von FPÖ und Rechtsextremen?
Dieser Eindruck wird von den Medien gezielt geschürt, um EU-Opposition zu denunzieren. Mit der Realität hat das wenig bis gar nichts zu tun. Die FPÖ war – gemeinsam mit der Industriellenvereinigung – die erste politische Kraft in Österreich, die sich für den EG- bzw. EU-Beitritt stark gemacht hat. Die FPÖ hat in der schwarz-blauen Koalition eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung abgelehnt und alle Vorgaben von EU-Kommission bzw. großen EU-Staaten auf Punkt und Beistrich (über)erfüllt: Vom unsozialen Pensionsraub und Privatisierungen bis zur Teilnahme an EU-Militärmissionen und dem Ankauf der Eurofighter. Die FPÖ tritt für eine eigene EU-Armee und für die Teilnahme Österreichs an weltweiten EU-Militärmissionen (Petersberg- Aufgaben) ein, die mit der Neutralität völlig unvereinbar sind. Erst kürzlich hat die FP-Führung klargestellt, dass für die FPÖ „der EU-Austritt kein Thema ist“ (OÖN, 7.10.2011). In Bezug auf die Wirtschaftspolitik agiert die FPÖ ohnedies als engster Verbündeter der EU-Kommission, indem beinharte Hartwährungspolitik und radikale Kürzungen bei öffentlichen Ausgaben gefordert werden, die sogar noch die Regierungspolitik übertreffen. Nicht wer für den EU-Austritt, sondern wer dagegen ist, sitzt also in einem Boot mit FPÖ und BZÖ.
Inhaltlich überrascht das nicht: Die EU ist ein Projekt für globale Vorherrschaft. Die Rechtsextremen liefern dafür die entsprechende Herrenmenschen-Ideologie. Die EU ist ein neoliberales Wirtschaftsregime, das immer mehr Menschen sozial ausgrenzt. Die Rechtsextremen sorgen dafür, dass der Zorn der Ausgegrenzten rassistisch gegen noch Schwächere kanalisiert wird, um zu verhindern, dass er sich gegen das System der Ausgrenzung richtet. Neoliberalismus und Rassismus sind zwei Seiten einer Medaille, der Aufstieg des Rechtsextremismus in Österreich verläuft Hand in Hand mit der Einbindung Österreichs in die EU. FP-Ideologen wie der EU-Parlamentarier Mölzer, erkennen die EU zudem als Chance, den Anschluss Österreichs an Deutschland quasi durch die EU-Hintertür allmählich zu vollziehen.
Es gilt also: Wer Rechtsextremismus, Deutschnationalismus und Rassismus den Nährboden entziehen will, für den darf der EU-Austritt Österreichs kein Tabu sein.
2) Ist es nicht falsch, „die“ EU für alles Negative verantwortlich zu machen? Sind es nicht vielmehr die eigenen PolitikerInnen, die für viele Missstände zur Rechenschaft zu ziehen sind?
Ja, das stimmt einerseits, aber erst die EU-Ebene ermöglicht es den PolitikerInnen in Österreich und anderen EU-Staaten eine Politik durchzusetzen, die sie auf einzelstaatlicher Ebene wohl nie durchbringen würden: Millionenzahlungen an die Atomenergie, Aushebelung der Neutralität, Gentechnik in den Lebensmittelregalen, unsoziale Belastungspakete, Transitlawinen. Mit der EU haben sich die Eliten eine Bande geschaffen, über die sie den politischen Ball spielen, um Widerstände auf nationaler Ebene auszuhebeln. Denn auf EU-Ebene sind die Machteliten und die Konzerne ungleich mächtiger und effizienter organisiert, als das Basisbewegungen und Gewerkschaften je sein können.
3) Ist man „europafeindlich“, wenn man für den Austritt aus der EU eintritt?
Im Gegenteil: Die EU einigt den Kontinent nicht, sie spaltet und hierarchisiert ihn. Die Solidarwerkstatt (damals: Friedenswerkstatt) hat bereits bei Einführung von EU-Binnenmarkt und Währungsunion davor gewarnt, dass die Ungleichgewichte und Spannungen enorm zunehmen werden, wenn man so unterschiedliche Volkswirtschaften über einen marktradikalen Kamm schert. Die EU-Verträge bewirken nicht europäische Zusammenarbeit und Solidarität, sondern die Entfesselung des Wirtschaftskrieges zwischen den Mitgliedstaaten. Die deutsche Exportwirtschaft hat in den letzten zehn Jahren die Mittelmeerstaaten in Grund und Boden konkurriert. Die im Wirtschaftskrieg unterlegenen Staaten werden nun unter neokoloniale Zwangsverwaltung durch Brüssel und Berlin gestellt. Die Leidtragenden sind aber nicht nur die Menschen in Griechenland, Spanien, Portugal usw., sondern auch die breite Mehrheit in Ländern wie Deutschland und Österreich, wo Löhne und Sozialleistungen gedrückt werden, um die Exportindustrie anzukurbeln.
4) Attac, Gewerkschaftsführungen und andere kritisieren zwar auch die neoliberale EU-Politik, fordern aber nicht den Austritt, sondern eine soziale und demokratische EU und gemeinsame soziale Standards in der EU. Warum fordert ihr dagegen den Austritt aus der EU?
Die EU ist kein „neutrales“ Gefäß, in das man beliebige politische Inhalte einfüllen könnte. Sie ist ein Projekt der Machteliten der großen Nationalstaaten und Konzerne, um imperiale Macht nach außen und einen hemmungslosen, autoritären Kapitalismus nach innen abzusichern. Deshalb sind in den EU-Verträgen bestimmte Politiken und Institutionen regelrecht einzementiert: Neoliberalismus, Freihandel, Kapital- verkehrsfreiheit, Hartwährungspolitik, EURATOM, Aufrüstungsverpflichtung, EU-Rüstungsamt, uvm. Diese Politiken werden quasi „außer Streit“ gestellt, d.h. sind dem demokratischen Meinungsstreit weitgehend entzogen. Sie ändern zu wollen, ist für demokratische Bewegungen von unten, nahezu unmöglich. Denn im Unterschied zu nationalen Verfassungen müssten, um EU-Primärrecht zu verändern, in 27 Ländern gleichzeitig Verfassungsmehrheiten dafür gefunden werden. Wer diesbezüglich Illusionen schürt, lässt soziale Bewegungen ins Nirwana laufen und befördert damit die Ohnmacht der Menschen. Wie heißt es doch: Love it, leave it or change it. Was man aber nicht liebt und nicht ändern kann, muss man verlassen, um sich Räume der Selbstbestimmung zurückzuerkämpfen. Wer von echter Demokratie und Überwindung des Neoliberalismus redet, darf vom EU-Austritt nicht schweigen.
Von einheitlichen sozialen Standards zu reden, ignoriert aber nicht nur die neoliberale Verfassung der EU, sondern auch die tiefen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Unterschiede in Europa. Was es bedeutet, über große Produktivitätsunterschiede hinweg einheitliche Standards durchzusetzen, zeigt das Beispiel der deutschen Einheit. Der Preis dafür waren schlagartige Entindustrialisierung und explodierende Arbeitslosigkeit im Osten Deutschlands – und die Senkung der Löhne und Sozialleistungen in Gesamtdeutschland. Genau dasselbe erleben wir mit der EU-Währungsunion, die weite Teile Südeuropas wirtschaftlich ruiniert hat. Der Versuch, diesen heterogenen Kontinent über einen Leisten schlagen zu wollen, mündet letztlich in verschärften wirtschaftlichen Ungleichgewichten, Sozialdumping für alle und einem autoritären politischen System. Sozialstaat und Demokratie brauchen auch die Souveränität des Staates, die eigene Wirtschaft gegenüber übermächtiger Konkurrenz zu schützen, um ein eigenes, selbstbestimmtes Tempo der Entwicklung gehen zu können.
5) Würde der Austritt aus der EU nicht zu großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen?
Zunächst sollte man nicht vergessen, dass mit der Schweiz und Norwegen zwei Staaten nicht in der EU sind, denen der Nicht-Beitritt wirtschaftlich keineswegs geschadet hat. Island, ein Land, das extrem hart von der Finanzkrise getroffen wurde, befindet sich auf dem Weg der wirtschaftlichen Erholung, weil es nicht in der EU ist, während Griechenland auf Grund der drakonischen Spar- und Privatisierungs- auflagen der EU vollends in den Abgrund zu geraten droht (In Island wurde die Weigerung, sich dem Schuldendiktat zu beugen, in zwei Volksabstimmungen von unten durchgesetzt; in Griechenland der Versuch eine Volksabstimmung durch einen EU-Putsch schon im Keim erstickt).
Und die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben wir vor allem, weil – nicht zuletzt über die EU – ein neoliberaler Teufelskreislauf aus Deregulierung der Güter- und Kapitalmärkte, wachsender Ungleichheit zwischen Arbeit und Kapital und exorbitanten Ungleich- gewichten im internationalen Handel losgetreten wurde. EU-Austritt bedeutet natürlich keine Beendigung der außenwirtschaftlichen Beziehungen, sondern die Rückgewinnung der Möglichkeit, diese Beziehungen demokratisch regulieren zu können. Damit kann der Wirtschafts- und Finanzkrise besser entgegengesteuert werden, z.B. über die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen und die Überwindung von einseitigen Abhängigkeiten, wie z.B. von der deutschen Automobilindustrie.
Andererseits soll aber nicht verschwiegen werden: Ja, ein Austritt hat auch seinen Preis: Auslandsreisen werden wohl teurer werden, die seit dem EU-Beitritt extreme Orientierung auf den Export muss wieder in die Stärkung der Binnenwirtschaft umgelenkt werden; vielleicht muss man auch seinen Pass wieder an der Grenze herzeigen. Einstellen muss man sich sicherlich auch auf enormen EU-Druck, insbesondere von Deutschland, auf Staaten, die das EU-Regime verlassen. Wir halten aber den Preis der EU-Mitgliedschaft für viel größer: Ende der demokratischen Verfügung über immer mehr Politikfelder, immer stärkeres soziales Auseinanderdriften der Gesellschaft in Arm und Reich, Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, steigende Arbeitslosigkeit und wachsender Rassismus, Transitlawinen, Überwachungsstaat, Finanzierung der Atomwirtschaft über EURATOM, Gentechnik in den Einkaufsregalen, Aushöhlung der Neutralität, Mitmarschieren bei EU-Kampfverbänden, u.v.m. Die Entmündigung der EU-Mitgliedstaaten hat sich zuletzt enorm beschleunigt. Mit den Beschlüssen vom Juni 2011 gibt die EU den Parlamenten auch die Budgetpolitik vor und mischt sich in direkt in die Lohnpolitik ein.
6) Gibt es überhaupt Alternativen zum EU-Beitritt?
Erst der Austritt aus der neoliberalen Zwangsjacke EU macht überhaupt wieder einen demokratischen Gestaltungsraum für Alternativen auf. Wir wollen, dass dieser Gestaltungsraum für die Entfaltung eines Solidarstaats genutzt wird. Das heißt für uns zunächst eine Politik, wo jede/r gebraucht wird, also Vollbeschäftigungspolitik. Vollbeschäftigung ist machbar, wenn der Wille und wirtschaftspolitische Instrumente dafür vorhanden sind. In der EU ist beides abhanden gekommen. Vollbeschäftigung stärkt die Lohnabhängigen, schafft Kaufkraft und spült auch wieder Geld in die öffentlichen Kassen. Gemeinsam mit stärker wertschöpfungsbezogenen Abgaben kann damit der Sektor der Solidarwirtschaft und der öffentlichen Infrastrukturen gestärkt werden: D.h. Rechtsanspruch für jeden – unabhängig von Einkommen und Vermögen – auf qualitativ hochstehende Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, Ausweitung der Bildungsmöglichkeiten für jede/n (z.B.: Einführung einer echten Gesamtschule mit entsprechend guter Personalausstattung, Bildungs- und Ausbildungspflicht bis 18, darüber hinaus fünf zusätzliche öffentlich finanzierte Bildungsjahre,…), Nulltarif im öffentlichen Verkehr und Ausbau der umweltfreundlichen Verkehrsmittel nach dem Vorbild der Schweiz, Energieautarkie auf der Grundlage erneuerbarer Energieträger, Investitionen in den sozialen Wohnbau, u.v.m. Wirtschaftliches Rückgrat eines Solidarstaats ist ein starker öffentlicher Sektor im Bereich von Industrie, Finanzdienstleistungen und Infrastrukturen sowie eine deutliche Erhöhung der Staatsquote. Ein Solidarstaat braucht aber auch eine grundlegende Erneuerung des politischen Systems: mehr direkte Demokratie, Stärkung der Selbstverwaltung und der Gemeindedemokratie – sowohl im eigenen Wirkungsbereich als auch für die Wahl bzw. Abwahl von politischen Repräsentanten auf übergeordneten Ebenen. Und nicht zuletzt: Jede/r, der/die hier lebt, arbeitet und lernt, soll gleiche Rechte und Pflichten haben, unabhängig von Herkunft, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, usw. Der EU-Austritt ist kein Selbstläufer in Richtung Solidarstaat, aber eine unabdingbare Voraussetzung dafür.
7) Für manche klingt EU-Austritt nach Rückwärtsgewandtheit und nationaler Abkapselung. Brauchen die großen Probleme der Menschheit – Klimawandel, Umweltzerstörung, Armut – nicht internationale Antworten?
Ja natürlich braucht es in diesen Fragen internationale und globale Zusammenarbeit. Aber hochgerüstete Wirtschafts- und Militärblöcke wie die EU sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Durch sie werden – siehe Libyen-Krieg – globale Institutionen wie die UNO mit Füßen getreten bzw. für imperialistische Zwecke missbraucht. Ihre neokoloniale Politik hält ganze Weltregionen in Unterentwicklung und verschärft die ökologische Krise. Die EU ist der Versuch der großen europäischen Mächte, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und ihnen wieder alte imperiale Geltung zu verschaffen. Deshalb gerät die EU immer tiefer in den Sumpf von Krieg und Aufrüstung. Das ist rückwärtsgewandt, bedroht den Weltfrieden – und wird scheitern. Je früher Österreich und andere Staaten diesem Projekt den Rücken zukehren, desto größer ist die Chance, dass dieses Scheitern nicht in eine Katastrophe münden wird.
Neutrale Kleinstaaten, die sich zur Nichtanwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen verpflichten, sind dagegen atemberaubend modern und zukunftsgerichtet. Souveränität bedeutet nicht Isolation. Sie ist die Voraussetzung dafür, auf Augenhöhe mit anderen zu kooperieren, internationale Initiativen für friedliche Konfliktlösungen, Abrüstung und Entwicklung zu setzen. Im Rahmen der EU hat sich Österreich zu einem Gartenzwerg der internationalen Politik entwickelt; jeder Ansatz einer eigenständigen Außenpolitik wurde aufgegeben, ohne Rückfrage in Brüssel und Berlin läuft am Ballhausplatz gar nichts mehr. Militärblöcke wie EU und NATO spalten, Neutralität dagegen verbindet!
8) Ist es nicht völlig unrealistisch, den EU-Austritt Österreichs durchzusetzen, wo sich das Establishment so geschlossen auf die EU-Einbindung eingeschworen hat?
Klar ist: Mit diesem Establishment ist weder der EU-Austritt noch ein Solidarstaat zu machen. Wir erleben in Österreich wie in allen anderen EU-Staaten eine immer rasantere Aushöhlung der Demokratie. Die Parteien dienen immer weniger dazu, unterschiedliche Interessen und Inhalte politisch zu vertreten, sondern den Willen der Macht- und Wirtschaftseliten gegenüber unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ziel- gruppengerecht durchzusetzen. Das ist aber auch ihre große Schwäche. Denn die Interessen breiter Bevölkerungsmehrheiten stehen dazu in eklatantem Widerspruch. An diesem Widerspruch wollen wir anknüpfen. Nicht indem wir ein neues Parteienprojekt aus der Taufe heben, das – bei wahlpolitischem Erfolg – erneut im Sumpf parlamentarischer Pfründe und Privilegierungen eingefriedet wird, sondern indem die gesellschaftliche Macht von den Gemeinden aus neu organisiert wird. Statt Anbindung der unteren Ebenen an die oberen über den Transmissionsriemen der Parteien und ihrer Vorfeldorganisationen, Reorganisierung der Demokratie von unten nach oben durch Stärkung der Gemeinden. Den Austritt aus der EU kriegen wir nicht per Stimmzettel im Supermarktsregal der weitestgehend EU-konformen Parteienlandschaft, wir müssen ihn hier und heute von unten her organisieren.
* Dankend übernommen von der Solidar-Werkstatt Österreich | www.werkstatt.or.at