Von Mirjam Pot
City of Design darf man sich seit nun mehr als einem halben Jahr offiziell nennen. Die letzte einer langen Liste an Bezeichnungen, die der Stadt in institutionalisierter Form zugesprochen wurde bzw. die sich die MarketingexpertInnen im angeblichen urbanen Identitätsfindungsprozess selbst ausgewählt haben. Auf der Suche nach der vermarktbaren Einzigartigkeit ist Graz jedoch lange nicht die erste und weitaus nicht die einzige Stadt, die sich durch die Beweihräucherung der urbanen Kreativlinge einiges an Vorteilen im globalen städtischen Wettbewerb erhofft.
Im globalen Wettbewerb
Ganz im Sinne der Idee eines „Europas der Regionen“, basierend auf regionaler Eigenständigkeit und Subsidiarität, werden Städte zunehmend dazu angehalten für ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit im nationalen als auch internationalen Kontext zu sorgen. Das Anziehen und Festhalten von Investitionskapital, hochqualifizierten als auch Niedriglohn-Arbeitskräften und zahlungskräftigen TouristIn-nen stehen dabei im Vordergrund.
Basierend auf der Prämisse, dass der entscheidende Vorteil westlicher Ökonomien die Informations- und Designintensität der produzierten Waren und Dienstleistungen sind, und dass das Vorhandensein dieser Ressourcen über den wirtschaftlichen Aufstieg oder Niedergang einer Region entscheiden, hat der US-amerikanische Geograph Richard Florida eine Theorie inklusive praktischem Umsetzungsprogramm entwickelt, welches die Debatte um erfolgreiches city branding in den letzten Jahre wesentlich bestimmt hat.
Der Aufstieg der „Kreativen Klasse“1?
Die „Kreative Klasse“, die durch Florida wegen ihrer ähnlichen Gesinnung, als solche definiert wird, welche durch eine Wertschätzung von Kreativität, Individualität und Einzigartigkeit charakterisiert wird, spielt in seiner Theorie eine entscheidende Rolle. Ihre Mitglieder sind es nämlich, welche, wenn sie geographisch konzentriert in großen Mengen auftreten, Firmen und Investitionskapital anziehen. In der vereinfachten Auslegung Floridas sind es also nicht die Menschen, die den Arbeitsmöglichkeiten, sondern umgekehrt, die Arbeitsmöglichkeiten die den Menschen folgen.
Die „Kreative Klasse“ wiederum entscheidet sich für eine Niederlassung an einem bestimmten Ort, insofern dieser eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Ideen, Styles und Kulturen und die Möglichkeit zur Realisierung des eigenen kreativen Potentials vorweisen kann. Aus der angeblich ökonomischen Wichtigkeit dieser Gruppe lassen sich die Bemühungen gewisser StadtpolitikerInnen erklären, Kampagnen und Projekte wie jenes der City of Design zu realisieren und der Stadt ein wenig aufgesetzte Coolness zu verpassen.
Florida zufolge, das Einzige was getan werden kann, um die Prosperität der Stadt zu sichern: Das Anziehen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, nämlich jener mit Geld und einem gewissen Geschmack. Die Einfachheit der Floridaschen These und ihrer angeblich ortsunabhängigen Anwendbarkeit haben zu ihrer weltweiten Verbreitung und zur Institutionalisierung des creative city-Diskurses geführt. Außerdem hat Florida stark zu einem Hype unter StadtpolitikerInnen beigetragen, jegliche Eigenheiten, solang sie nur irgendwie mit Kultur und Kreativität in Verbindung gebracht werden können, zu vermarkten.
Zweifelhafte Zusammenhänge
Davon abgesehen, dass die Subsumption diverser Bevölkerungsgruppen unter dem Nenner ihres Geschmacks zur „Kreativen Klasse“ jeglicher Grundlage entbehrt und diese gleichzeitig zur Zielgruppe aktueller Stadtpolitiken konstruiert wird, ist auch die von Florida angenommene Korrelation zwischen der Anwesenheit der „Creative Class“ und steigendem Wirtschaftswachstum mehr als fragwürdig.
Zusätzlich lassen sich vor allem auch Gentrifizierungsprozesse (d.h. die Verdrängung ökonomisch schwächerer Gruppen durch ökonomisch stärkere Gruppen am Immobilienmarkt in bestimmten Vierteln) kritisieren, die oft mit einer stadtpolitischen Neuorientierung hinzu Kreativität und Design einhergehen. Beispiele in Graz hierfür sind die Aufwertungsprojekte um das Mariahilfer-2 sowie das Jakominiviertel3. Pricing-out sowie designing-out von sozioökonomisch schwächeren AnwohnerInnen und deren Ersetzung durch einkommensstärkere Schichten sind zwei oft vernommene Mechanismen die in direktem Zusammenhang mit kulturorientierter städtischer Regeneration stehen. Und sie sind oft, wenn auch nicht offen deklariert, die den Bemühungen zugrunde liegenden Motivationen.
Neoliberale Umverteilungspolitik
Warum wird die Geschichte von der kreativen Stadt dann trotzdem von mehr und mehr Städten als Marketingstrategie übernommen? Einige mögen sich wundern, warum gerade in Zeiten großflächiger Budgetkürzungen im Sozial- und Kulturbereich die Stadtregierung eine läppische Summe von 1,5 Millionen Euro für eine Unterstützung der Kreativindustrie locker machen kann.
So verwunderlich ist das aber bei näherem Hinsehen gar nicht. Die creative city-Politik ist ein durchaus ideologisches Instrument zur Umverteilung öffentlicher Gelder weg von sozioökonomisch schwachen Gruppen hin zur konsumstarken Mittelschicht. Insofern ist sie keine Alternative zu neoliberaler Umverteilungspolitik und Standortvermarktung, sondern ein essentieller Teil derselben. Die feel good-Variante sozusagen, die durch ihre scheinbare Neutralität (wer ist schon gegen Design, Kreativität und Kultur?) mit einer durchaus breiten Unterstützung unter PolitikerInnen als auch BürgerInnen rechnen kann. Das Statement einer Modedesignerin auf der City of Design-Homepage in dem sie meint: „City of Design zu sein, heißt junge wilde Kreative weder dem Alltag noch der Politik unterzuordnen“4 klingt in diesem Zusammenhang doch etwas naiv.
Für eine kreative Stadt von unten
Die Charakteristik einer Stadt kann nicht durch PolitikerInnen festgelegt werden. Sie wird bestimmt durch verschiedenste Initiativen und Projekte, welche Raum für kulturelle wie auch gesellschaftliche Experimente bieten, welche Kreativität und Kultur in ihrer Vielseitigkeit fördern und welche es letztendlich ausmachen, ob eine Stadt ihr kreatives Potential ausleben kann. Es gilt, sich stark zu machen für Kreativität und Kultur, deren erstes Ziel nicht ihre eigene ökonomische Verwertbarkeit darstellt, sondern die eine Bereicherung für die diversesten Bevölkerungsgruppen in der Stadt sein kann. Genau so eine Kultur geht oft aus den unzähligen möglichen Oppositionspraktiken gegen neoliberale Prestigeprojekte wie jenem der City of Design hervor.
| aus ROTCROWD #18, Wintersemester 2011