Über zu Tode reformierten „Kommunismus” und die Rolle der Europäischen Linkspartei.

Ideologische Auseinandersetzungen innerhalb der kommunistischen Bewegung sind kein Zeitvertreib für I-Tüpfelreiterinnen und Korinthenkacker.

Die Überwindung des Kapitalismus und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ist die raison d’être, also der Grund des Seins jeder kommunistischen Organisation. No-na, möchte man hier sagen. Was aber auf den ersten Blick klar scheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen oftmals als Trugschluss. Doch warum ist nicht überall Kommunismus drinnen, wo Kommunismus drauf steht und welche Rolle spielt die Europäische Linkspartei dabei?

Etikettenschwindel

„Kommunistische“ Parteien, die imperialistische Angriffskriege als Regierungsparteien mittragen? „Kommunistische“ Zeitungen, an denen Rüstungskonzerne Aktien halten? Und „linke“ Parteien, die Privatisierungen durchführen? Gibt’s nicht? Der Blick auf „linke“ oder „reformkommunistische” Regierungsbeteiligungen in Frankreich, Italien oder Deutschland zeigt leider anderes. Die Französische Kommunistische Partei (PCF) trug in der Regierung Jospin den Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 mit, ihre Minister beteiligten sich am Ausverkauf staatlichen Eigentums. Die Zeitung der PCF, die „L’humanité“, gehört gar zu 20 Prozent einem Konzern, der wiederum einen 15-prozentigen Anteil am Rüstungskonzern und Eurofighter-Hersteller EADS hält. Sozialabbau und Privatisierungen trugen während ihrer Regierungstage auch die italienische Rifondazione Comunista (PRC) bzw. die Partito dei Comunisti Italiani (PdCI) an der Seite Romano Prodis mit. Und in Berlin privatisierte der „rot-rote“ Senat unter tatkräftiger Mitwirkung der Linkspartei unzählige städtische Wohnungen.

Für diese Politik wurden die Parteien deutlich abgestraft: In Frankreich, dem Mutterland der Revolution, spielt die einst so mächtige PCF heute eine marginale Rolle im Widerstand gegen Sozialabbau und Belastungspakete. Der SPD/Linke-Senat in Berlin wurde im September 2011 abgewählt. Und die früher so starke kommunistische Bewegung Italiens ist heute nicht einmal mehr mit einem Sitz im Parlament vertreten.[1]

Schadenfreude ist angesichts dessen aber nicht angebracht. Es gilt vielmehr zu begreifen, dass ideologische Auseinandersetzungen innerhalb der kommunistischen Bewegung kein Zeitvertreib für I-Tüpfelreiterinnen und Korinthenkacker sind. Wo opportunistische Strömungen[2] Überhand gewinnen, hat dies nämlich sehr wohl ganz praktische Auswirkungen auf die Politik einer Partei – etwa wenn sie Kriege, Privatisierungen oder Sozialabbau unterstützt. Linke Organisationen, die zu nützlichen Idioten des Kapitals werden, brechen mit ihrer raison d’être. Sie werden für die arbeitenden Menschen, die Jugend und die arme Bevölkerung nutzlos.

Warum kann es aber dazu kommen, dass kommunistische Parteien all ihre Ideale über Bord werfen? Bereits in den 1970er-Jahren machte eine Reihe kommunistischer Parteien unter dem Schlagwort „Eurokommunismus“ ihren Frieden mit dem Kapitalismus. Man wollte in der bürgerlichen „Demokratie“ mitspielen, die Regeln waren freilich vorgegeben und verbunden mit faulen Kompromissen auf Kosten der werktätigen und armen Bevölkerungsschichten.

In dieser Tradition steht ein Projekt, dass 2004 in Rom aus der Taufe gehoben wurde: Die „Europäische Linkspartei“ (ELP). In der ELP spielen bezeichnenderweise die oben genannten Parteien – PCF, Die Linke, Rifondazione – eine führende Rolle. Starke, revolutionäre Parteien wie die portugiesische PCP oder die griechische KKE gehören ihr wiederum aus gutem Grund nicht an. Aus gutem Grund? So wie ihre Mitgliedsparteien in den jeweiligen Staaten halbherzige Politik betreiben, macht das die ELP auf EU-Ebene.

Von der Wirklichkeit überholt

Wenn die ELP positiv Bezug nimmt auf die „europäische Integration“, offenbart sie ihre Unfähigkeit oder ihren Unwillen, die EU als das zu begreifen, was sie in Wirklichkeit ist – ein Projekt der Banken, Konzerne und Generäle. Sie stimmt in den Chor der leeren Propagandafloskeln der kapitalistischen EU-Einpeitscher ein und ordnet sich deren Spielregeln unter. Damit fällt sie zusehends hinter die Wirklichkeit zurück: Bereits in der ersten tieferen Krise war all das schöne Gerede von der „europäischen Einigung“ vergessen. Stattdessen hörte und las man allerorts über „faule“ SüdländerInnen im Allgemeinen und „faule“ GriechInnen im Besonderen. Für die Eliten ist ihre EU nämlich keineswegs in Stein gemeißelt. Wenn sie sich bei ihrem Streben nach globaler Dominanz als Hemmnis erweist, werden die Eliten sie eher heute als morgen in die Luft sprengen. Die „Europäische Linkspartei“ trabt dieser Entwicklung hinterher, unfähig ihr eigenes Schlamassel zu erkennen, vielleicht gewillt, aber nicht in der Lage, wirksamen Widerstand gegen die Diktatur der Banken und Konzerne zu entfalten. Sie erinnert damit in tragischer Weise an die österreichische Sozialdemokratie des Habsburgerreiches, die diesen zerbröselnden feudalen Völkerkerker letztlich nicht überwinden, sondern zu einem „k.u.k.-Sozialstaat“ reformieren wollte. Auch sie wurde von der Wirklichkeit überholt.

Briefe ans Christkind

Die „Europäische Linkspartei“ will nun also die imperialistische EU mit sozialen und demokratischen Inhalten füllen. Sehen wir uns die Tatsachen an: Die einzige formell demokratische, weil von den BürgerInnen gewählte, Ebene der EU ist ihr Parlament, das noch nicht einmal Gesetzesanträge stellen kann. Ein Parlament, das aber nur abnicken darf, ist kein Parlament, sondern ein Feigenblatt. Demgegenüber steht die geballte Macht der Kommission, des Rates, der Europäischen Zentralbank, der Wirtschaftslobbys und die immer offensichtlichere Dominanz Deutschlands und Frankreichs. Die den Mitgliedsstaaten auferlegte und von den Regierungen willfährig umgesetzte Privatisierungs-, Kürzungs- und Aufrüstungspolitik ist fest in Verträge gegossen. Diese Verträge – etwa die von Lissabon oder Maastricht – machen aber den Charakter der EU aus. Wer sie ändern will, darf keine Kosmetik betreiben, sondern muss das Problem an der Wurzel packen – und damit die EU grundsätzlich in Frage stellen. Davon ist die „Europäische Linke“ aber weit entfernt. Wer angesichts der oben skizzierten Übermacht des Kapitals in der EU von einer Transformation dieser in eine „Sozialunion“ träumt, sollte eher Briefe ans Christkind als politische Programme verfassen.

Dies gilt vor allem dann, wenn die Mitgliedsparteien der „Europäischen Linken“ statt über außerparlamentarische Aktionen, Arbeitskämpfe und Streiks eine Gegenmacht in den einzelnen Staaten sowie länderübergreifend aufzubauen, sich in hohlen Phrasen und Bürokratismus verlieren. Wer aber keine klaren Strategien für die Überwindung des kapitalistischen Systems entwickelt, verschiebt diese auf den St. Nimmerleinstag.

Dabei schreien die aktuellen Entwicklungen geradezu nach Antworten, die so radikal sind wie die Wirklichkeit. Die „Europäische Linkspartei“ gibt diese aber nicht. Im Gegenteil! In Wahrheit setzt sie einen Integrationsprozess oppositioneller Kräfte in das imperialistische System fort: Widerstandspotentiale werden so gebündelt und in eine für das Kapital unschädliche Richtung gelenkt. Tibor Zenker charakterisiert die Rolle der Europäischen Linkspartei folgendermaßen: „Hier soll, analog zu den Vorgaben der imperialistischen EU, eine “kooperative”, kapitalismuskompatible, pseudolinke Sammlung geschehen, deren vorrangigstes Ziel ebenfalls die Liquidierung des Marxismus und möglichst der kommunistischen Parteien ist.“ Der langjährige Vorsitzende der steirischen KPÖ, Franz Parteder, sieht die Aufgabe der ELP darin, „den kommunistischen Parteien den marxistischen Giftzahn zu ziehen“.

Die „Europäische Linkspartei“ ist damit die loyale Opposition ihrer Herren, die zwar den einen oder anderen Missstand kritisiert, aber weder an den Grundfesten der kapitalistischen Herrschaft rüttelt, noch Wege zu deren Überwindung aufzeigt. Wir haben es also mit einer Linken zu tun, die mitspielt, aber die Spielregeln nicht in Frage stellt. Das Phänomen ist nicht neu: Der Integrationsprozess der einst revolutionären Sozialdemokratie wurde auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges endgültig vollzogen, bei den Grünen geschah dies in den Trümmern des zerbombten Belgrad.

Den Angriff abwehren!

Gerade in einer Zeit gewaltiger Krisen braucht es dringend konsequente Strategien und gemeinsame Aktionen. Die EU schickt sich unter der Führung von Merkel und Sarkozy an, mit dem „sozialstaatlichen Schutt“ der Nachkriegszeit konsequent aufzuräumen um in der weltweiten Konkurrenz imperialistischer Mächte zu bestehen. Dazu wird die Last der Krise auf die breite Masse abgewälzt ja sogar die Demokratie wird unter dem Vorwand des Schutzes vor den Finanzmärkten ausgehebelt. Aktuell gibt es mit Griechenland und Italien gleich zwei Staaten, in denen nicht gewählte Regierungen die EU-Vorgaben auf Kosten der Bevölkerung durchpeitschen. Entwickelt sich dagegen nicht europaweit Widerstand von unten, bleibt am Ende ein wesentlich geringerer Lebensstandard samt Verarmung breiter Bevölkerungsteile sowie ein repressiver Staat, der zwar noch ein parlamentarisches Mäntelchen trägt, aber kaum noch demokratische Substanz hat. Das klingt nach Gruselgeschichte? Das wurde über die Warnungen vor einer Weltwirtschaftskrise vor 2007 auch gesagt…

Macht deine Wut zu Widerstand!

Wohin dieser Integrationsprozess hier und heute führt, lässt sich deutlich an der Entwicklung der Bundes-KPÖ ablesen. Stück um Stück wurde der Marxismus und damit Grundprinzipien kommunistischer Politik entsorgt. Während die Bundes-KPÖ damit hofiertes Mitglied in der „Europäisch Linken“ wurde, ist sie hierzulande am Nullpunkt gesellschaftlicher Relevanz angelangt.

[1] Freilich gibt es in der PCF wie in den italienischen kommunistischen Parteien aber auch viele aufrechte GenossInnen, die sich für eine marxistische Erneuerung ihrer Parteien einsetzen, mit denen wir in freundschaftlicher Verbindung stehen und denen unsere volle Solidarität gilt.
[2] Unter Opportunismus verstehen wir alle Strömungen innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, die sich den herrschenden Verhältnissen anbiedern und sich aus dem Verzicht auf radikale Kritik und Kämpfe politische oder persönliche Vorteile erwarten. Als klassisches Beispiel des Opportunismus kann die Sozialdemokratie gelten, deren Beispiel viele „reformkommunistische“ Parteien nacheifern.