Was haben die Proteste konkret bewirkt?

Sebastian Wisiak: Sogar die Unis, an denen keine Proteste stattgefunden haben, profitieren davon und dürfen sich über zusätzliches Geld aus dem „Notfallfonds“ freuen. Diese 34 Millionen sind zwar kein großer Wurf, aber angesichts der knappen Budgets der Unis mehr als willkommen. An der Ausschüttung dieser Millionen sieht man auch, welchen Schrecken die Bewegung der Regierung eingejagt hat, die dann sogar den Wissenschaftsminister nach Brüssel geschickt hat, um ihn aus dem Schussfeld zu nehmen. Das alte Vorurteil, die ÖsterreicherInnen seien ein durch und durch protestfaules Volk, ist eindrucksvoll widerlegt worden. Nicht nur Studierende haben protestiert, es ist auch zu einem Schulterschluss mit Lehrenden, Gewerkschaften und KindergartenpädagogInnen gekommen.

Wie begegnest du der Kritik aus der Bevölkerung, die Studierenden sollten nicht immer nur protestieren sondern „lieber einmal was arbeiten“?

Sebastian: Diejenigen, die demonstrieren, sind vor allem jene, die arbeiten müssen, um sich ihr Studium zu finanzieren. Das sind hauptsächlich Kinder aus Arbeiterfamilien, die nicht alles hinten rein bekommen. Die hauptberuflichen Söhne und Töchter können gut mit dem bestehenden System leben, weil es für sie sogar von Vorteil ist, wenn die Konkurrenz mit Nebenjobs beschäftigt ist, während sie sich ganz auf Studium und Karriere – und Party – konzentrieren können.

Seit kurzer Zeit ist Beatrix Karl neue Wissenschaftsministerin. Was erwartest du von ihr?

Sebastian: Ich glaube kaum, dass es unter der Frau Karl besser wird. Es ist ja ihre Aufgabe, die bisherige Politik fortzuführen. Sie wäre kaum Ministerin geworden, wenn sie dazu nicht bereit wäre. Mit ihren Ankündigungen, flächendeckend Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen einführen zu wollen, ist sie schon vor ihrer Angelobung auf Konfrontationskurs gegangen. Unverständlich, dass sich die ÖH-Vorsitzende jetzt anbiedert.

Du hast als Vertreter des KSV den hahnschen „Hochschuldialog“ unter Protest verlassen. Warum?

Sebastian: Der KSV ist dem sogenannten „Dialog“ schon von Anfang an skeptisch gegenüber gestanden, weil wir dahinter eine Verzögerungstaktik der Regierung vermutet haben, um die Proteste auszusitzen. Diese Einschätzung hat sich dann auch bald als richtig erwiesen. Die erste Runde, war von Kennenlern-Spielchen geprägt, die nächste hat gleich wieder mit inhaltsleeren Gruppendynamikspielereien begonnen. Es war eine einzige Farce, auch wenn manche Rektoren ganz glücklich waren, sich einmal den Frust von der Seele reden zu können. Mich wundert, dass wir bislang die Einzigen sind, die nicht gewillt sind, sich länger verarschen zu lassen.

Wie schätzt du den Bologna-Prozess ein?

Sebastian: Der Bologna-Prozess entspricht der Strategie der europäischen Eliten, die in Anlehnung an das amerikanische Modell einen auf Konkurrenz basierenden Hochschulraum errichten wollen. Das heißt gute Qualität und Mobilität für die Reichen, während die Masse mit Schmalspur-Bildung abgespeist wird. Das Ausmaß, in dem Bildung eine Frage des Geldes wird, nimmt durch den Bologna-Prozess immer weiter zu.

Manche sagen, er wäre nur schlecht umgesetzt.

Sebastian: Das können nur Leute sagen, die sich von den schönen Worten der ersten Bologna-Erklärung einlullen lassen und den Nachfolgeprozess nicht verfolgt haben. Sie ist – ganz ähnlich wie die Präambel des EU-Vertrages – vage gehalten, enthält nichts konkretes, sondern nur hochtrabende Worte. Die konkreten Inhalte sind es dann, die es in sich haben: im EU-Vertrag sind es unter anderem die Aufrüstungsverpflichtung oder die Kriegsermächtigung ohne UN-Mandat, bei Bologna die kapitalistische Konkurrenz zwischen den Hochschulen auf einem „freien Bildungsmarkt“.

Was wäre die Alternative?

Sebastian: Mit dem kapitalistischen System im Hintergrund brauchen wir uns kein fortschrittliches Bildungssystem erwarten, in dem alle die gleichen Chancen haben. Die Ungleichheit ist gerade das, was im Interesse der Eliten und Konzerne liegt. Darum werden wir die Bildungsfrage ohne eine Klärung der Systemfrage nicht lösen können.

Es braucht also einen grundsätzlichen Wandel der Gesellschaft?

Sebastian: Absolut. Der Staat im Kapitalismus ist immer Staat des Kapitals. Zu glauben, eine etwaige rot-grüne Regierung würde grundsätzlich etwas ändern, ist eine Illusion. Wer die Anhäufung des Reichtums in den Händen Weniger nicht in Frage stellt, wird immer aus angeblichen Sachzwängen heraus die Interessen des Kapitals erfüllen. Es kracht ja nicht nur im Bildungswesen an allen Ecken und Enden. Dem sozialen Kahlschlag, dem Klimawandel und vielen anderen Problemen, wird man nur begegnen können, wenn sich die Menschen zusammenschließen, um eine neue, eine gerechte Gesellschaftsordnung – wir nennen sie Sozialismus – zu erkämpfen.