Wenn die Weichen für ein noch aggressiveres, noch unsozialeres Staatenbündnis geschlossen werden, ist es höchste Eisenbahn, etwas dagegen zu unternehmen.
Die Europäische Union befindet sich im Umbruch. Mächtige Teile des Finanz- und Industriekapitals und damit der ihnen dienenden Parteien sind mit den derzeitigen Entscheidungsstrukturen nicht mehr zufrieden und streben eine radikale Wende an. Die als Allheilmittel gepriesene Entmachtung der einzelnen nationalen Parlamente findet auch hierzulande Unterstützer – von Wirtschaftsbossen bis zu den Grünen, die glauben, so den Nationalismus zu überwinden. Dabei geht es darum, aus einem lahmenden Zweckbündnis ein global agierendes Imperium zu machen, das mit Aggression nach außen und Repression nach innen die Profitinteressen der Eliten bedient.
Wer glaubt noch an das Christkind?
Gut 8 Jahre nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 ist für viele offensichtlich, wessen Interessen in den Glaspalästen Brüssels und Straßburgs bedient werden. Aus den einstigen Versprechungen von „mehr Chancen für unsere Jugend“ und einem „Friedensbündnis“ wurden real sinkende Löhne, steigende Jugendarbeitslosigkeit und militärische Interventionen europäischer Staaten in so gut wie allen bewaffneten Großkonflikten der letzten Jahre. Gleichzeitig werden die Wünsche der Industrie- und Finanzbosse bedient, auch wenn manchmal finanziell nachgeholfen werden muss. Ob die Zwangsbeglückung mit quecksilberverseuchten Lampen, die Förderung der Agrarindustrie, das Ausbleiben von Maßnahmen gegen Finanzspekulationen, Milliardenhilfen für Banken, während die Sozialsysteme angegriffen werden: An großen wie an vergleichsweise kleinen Beispielen zeigt sich, wer in der EU das Sagen hat – und wer dafür die Zeche zahlen soll.
Gleichzeitig ist sich der politische und mediale Mainstream in Österreich einig: „Wir brauchen mehr Europa“, mehr Kompetenzen für die EU. Geht es nach den Wünschen der radikalsten EU-Apologeten, wie dem deutsch-französischen Grün-Politiker Daniel Cohn-Bendit, soll sich bereits 2014 eine „Verfassungsgebende Versammlung“ auf europäischer Ebene bilden. Was fast irgendwie nach so etwas wie Demokratie klingt, ist in Wirklichkeit die (weitere) Ausschaltung derselben. Den Machteliten Europas ist das Vorhandensein von rechenschaftspflichtigen und abwählbaren ParlamentarierInnen in den einzelnen Ländern schön länger ein Dorn im Auge. So forderte der Goldman Sachs-Berater und italienische Ministerpräsident Mario Monti schon im August 2012, dass die Regierungen der Eurozone weniger Rücksicht auf die Parlamente nehmen sollten.
Das zügige Abgeben der nationalstaatlichen Souveränität soll rasche Entscheidungen auf europäischer Ebene möglich machen – ohne dabei von so lästigen Dingen wie Wahlen, öffentlicher Debatte und parlamentarischer Kontrolle behindert zu sein. Was auf der „Abschussliste“ der Finanzeliten steht und ohne demokratische Instanzen einfach schneller durchgeboxt werden kann, zeigt das Beispiel Griechenland: Damit das Land die Zinszahlungen an die großen Finanzinstitute weiterführen kann, muss bei Löhnen, Pensionen, dem Gesundheitssystem und Sozialleistungen gespart werden. Die hiesigen Medien verkaufen das dann als „notwendige Reformen“ und sehen die Zukunft allenfalls von streikenden ArbeiterInnen bedroht.
Die Mär von der „Sozialen EU“
Auch wenn manche sich links fühlende EU-BefürworterInnen viele Missstände durchaus erkennen, glauben sie doch durch die „Vision“ einer „Sozialunion“, eines „Solidarischen Europa“ oder sonstiger Schlagworte die in salonlinken Kreisen so unschicke Austritts-Forderung nicht stellen zu müssen. Wie genau das Wirtschaftsbündnis, das sich immer mehr zum aggressiven Militärbündnis ausweitet, in einen Wünsch-dir-was-Laden transformiert werden soll – ohne dass die für so einen Prozess notwendigen demokratischen Grundstrukturen vorhanden sind! – das können „kritische“ Grüne, Links-SP‘ler und die larifari-Bundes-KPÖ freilich nicht beantworten. Nur so viel gemeinsame „Strategie“ lässt sich festmachen: Mit Klassenkampf, der Durchsetzung der Interessen der Mehrheit gegen die Profitgier und den erbitterten Widerstand der Wenigen, hat das jedenfalls wenig zu tun.
Tatsache ist, dass der Umfang von Sozialleistungen, arbeitsrechtliche Standards und die Besteuerung der Vermögenden derzeit und auch in absehbarer Zukunft in den einzelnen Staaten geregelt werden, sofern sie noch nicht wie etwa Griechenland von den Geldeliten Europas endgültig entmündigt wurden. EU-Kommission und Europäische Zentralbank haben durch ihre Entscheidungen immer wieder bewiesen, dass sie eine Aufwärtsbewegung an den Börsen stets als Maßstab ihres Erfolgs, als Zeichen eines „Aufwärtstrends“ sehen. Eine „Beruhigung der Finanzmärkte“ ist den Brüsseler Bürokraten sehnlichster Wunsch – die dazu nötigen Wunderheilmittel flüstern ihnen schon die Banken und Konzernchefs ein: Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, Privatisierungen, Senkung der Mindestlöhne. Nichts wäre fahrlässiger, als diesen weltfremden Gestalten noch mehr Entscheidungsrechte einzuräumen.
Interessenskonflikte bleiben bestehen
Was bei all dem Gerede von „Mehr Europa“ oft unbeachtet bleibt, ist die Tatsache, dass die Eliten der einzelnen Staaten keineswegs in allen Bereichen dieselben Interessen teilen. Entsprechend den Gegebenheiten der jeweiligen Wirtschaft – Größe des Finanzsektors, Exportabhängigkeit der Industrie, Art der hergestellten Güter, „Konkurrenzfähigkeit“ der Landwirtschaft etc. – ergeben sich unterschiedliche Bedürfnislagen.
So verfolgen auch die Regierungen unterschiedliche Strategien: Für Frankreich etwa ist eine Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene vorstellbar, für Großbritannien nicht. Ein starker, sprich „teurer“ Euro ist im Interesse Deutschlands, gewisse Südländer würden von einer Abwertung profitieren. Ein militärisches Vorgehen in Libyen war für das stark in Nordafrika involvierte Frankreich „wichtiger“ als für Deutschland. Dass die verschiedenen militärischen Interessenslagen oft schwer unter einen Hut zu bringen sind, zeigte jüngst die gescheiterte Fusion des britischen Rüstungskonzerns BAE mit dem deutsch-französisch-spanischen Gegenstück EADS.
Wenn sich deutsche Unternehmer „mehr EU“ wünschen, meinen sie nicht harmonische Einigung im Interesse aller (ja noch nicht einmal aller Ausbeuter), sondern Durchsetzung der eigenen Strategien gegenüber den übrigen Staaten. Ökonomisch stärkere Länder setzen sich gegenüber schwächeren durch, wodurch deren Bevölkerung doppelt geschunden wird: Von den „eigenen“ Ausbeutern und von den Vorgaben aus Brüssel, Berlin oder Paris.
Dass Österreich hier derzeit nicht am untersten Ende der europäischen Hackordnung ist, ist erstens nicht sonderlich tröstlich – denn das Interesse der österreichischen Bosse ist trotzdem dem Interesse der Werktätigen und an den Rand Gedrängten entgegengestellt – noch ist dieser Zustand ein sicherer. Schon jetzt befinden wir uns in einer Lage, wo österreichische Soldaten im Rahmen der EU-Battlegroups Befehlsempfänger der Generäle der europäischen Großmächte sind. Auf „Extrawürste“ wie die proklamierte Neutralität wird da nicht sonderlich Rücksicht genommen werden.
Es zeigt sich: Die Europäische Union vertrat immer schon die Interessen der Herrschenden. Mit zunehmend schwierigeren wirtschaftlichen Verhältnissen sind deren Vorstellungen aber immer seltener unter einen Hut zu bringen; die Stärksten setzen sich gegenüber den weniger Starken durch, der „Kern“ schafft der „Peripherie“ an. Das ist auch der Hintergrund bei dem Gerede um mehr Kompetenzen für die EU: Die kleinen, die wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Staaten sollen nicht mehr eigene Schwerpunkte setzen können – und das können durchaus so Dinge sein wie ein angemessenes Sozialsystem, Mindestlöhne oder eine kostenlose Gesundheitsversorgung.
Mit mehr EUropa ist ein Mehr an Herrschaft, ein Mehr an Ausbeutung gemeint. Eine gefährliche Drohung für die arbeitende und lernende Jugend.