Von Tibor Zenker.

Dass ein Großteil des zweiten Kapitels des Parteiprogramms der “Nationalen Volkspartei” (NVP) ein Plagiat ist, mag zunächst als gleichgültig erscheinen. Dass dieser fragliche Textabschnitt, wie sich nun herausstellt, jedoch zu etwa 99% wortwörtlich aus einem Lehrplan der deutsch-faschistischen SS aus dem Jahr 1944 übernommen ist, ist wohl als NS-Wiederbetätigung zu bewerten. Diese Übereinstimmung ergibt sich tatsächlich, wenn man das Parteiprogramm der NVP – im Internet unter www.nvp.at/nvp.at/new/index.php?option=com_content&view=article&id=48&Itemid=59 – und den “Lehrplan für die weltanschauliche Erziehung in der SS und Polizei” (erarbeitet und herausgegeben vom SS-Hauptamt, 1944) – Internet: Uni Tübingen (PDF) – vergleicht und gegenüberstellt. Damit ist bewiesen: Die NVP erhebt die Weltanschauung des deutschen Faschismus zu ihrer eigenen, übernimmt sie ins eigene Programm, Wort für Wort und im Originaltext, nicht einmal verschleiert. Der Verstoß gegen das Verbotsgesetz könnte kaum offenkundiger sein. [Eine direkte Gegenüberstellung der beiden Texte gibt es hier: Vergleich NVP-SS (PDF)]

Es handelt sich konkret um die Programmabschnitte 2 (“Grundlagen unserer Weltanschauung”) und 2.1 (“Volk, Volkszugehörigkeit, Staatsbürgerschaft, Nation”), die so gut wie identisch mit dem Text des SS-Lehrplans in Abschnitt IV (“Die lebensgesetzlichen Grundlagen unsererer Weltanschauung. Das Volk”) sind. Beide Varianten dieses Textes über die völkisch-rassische Weltanschauung unterscheiden sich nur geringfügig, einzelne Wörter wurden ersetzt, die neue Rechtschreibung angewandt.

Bezüglich der ersten beiden Absätze unterscheiden sich SS- und NVP-Version lediglich durch eine Umformulierung des Einleitungssatzes. Während es bei der SS heißt, “Europa ist der reich gegliederte, klimatisch besonders begünstigte Kopf des riesigen eurasischen Kontinents. Die Menschen in diesem Raum haben seit Anbeginn im großen gesehen alles gemeinsam erlebt, durchkämpft und geschaffen”, meint die NVP: “Wir sehen Europa als den reich gegliederten klimatisch besonders begünstigten Kopf des riesigen eurasischen Kontinents, in dessen Raum die Menschen seit Anbeginn im Großen gesehen alles gemeinsam erlebt, durchkämpft und geschaffen haben.” Die darauffolgenden Sätze sind bei SS und NVP identisch (bis auf einen Rechtschreibfehler, für den die NVP verantwortlich zeichnet): “Die vielgestaltige geographische Ausprägung hat zur Bildung von zunächst kleinen, dann durch Vereinigung und Zusammenschluss zu immer größer werdenden Gemeinschaften, zu Stammesverbänden und Staatsverbänden wechselnder Arten und wechselnder Beziehungen zueinander geführt. Biologisch gesehen bildeten sich im Wesentlichen aus kleineren Gemeinschaften ähnlicher Sprache, Sitte und Kultur größere, geformte Völker als feste, kulturelle und staatliche Gemeinschaften. Somit stehen die einzelnen Völker in Europa mit einem doppelten Erbteil innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, einerseits mit dem eigenen geschlossenen biologischen Erbteil und andererseits mit dem im jahrtausendelangen Lebenskampf erworbenen kulturellen und geschichtlichen Erbteil.”

Es folgt der Themenbereich “Volkserbe”, ebenfalls in beiden Schriften völlig wortgleich: “Das einzelne Volk ist gewachsen aus den Kräften der Erbsubstanz und der Umwelt. Die Erbwelt eines Volkes ist der Summe der vorhandenen Erbanlagen. Diese bilden als biologische Grundsubstanz über den Weg der Fortpflanzung stets die Voraussetzung für eine wiederum gleiche Ausprägung. Zur Erbwelt eines Volkes gehört nicht allein die Tatsache einer Erbanlagengemeinschaft aus der Vergangenheit, sondern die Fortpflanzungzung aus sich selbst als Grundlage der Zukunftsgestaltung dieses Volkes.”

Die folgende Bestimmung der “Umwelt” unterscheidet sich nur durch die Formulierung der Einleitung: Bei der SS steht lediglich “Die Umwelt ist gegeben…”, bei der NVP hingegen ein bescheidenes “Die Umwelt ist für uns gegeben…”. Und weiter wieder wortgleich, “als natürliche durch den geographischen Raum und 2. als künstliche durch Sprache, Geschichte, Kunst, Wirtschaft, Recht, Politik, Erziehung, Religion und Weltanschauung.”

Die SS setzt fort: “Während die Beziehungen eines Volkes zu seiner Erbwelt im wesentlichen gegeben sind, ist die Umwelt wechselvoll und veränderlich. Biologisch gesehen ist also ein Volk zugleich eine Erbanlagen-, Fortpflanzungs- und Umweltgemeinschaft. Aus diesem biologischen Volksbegriff schöpfen wir die folgende Erkenntnis: Die Achtung vor den lebensgesetzlichen Tatsachen und damit gottgewollten Ausformungen des Lebendigen, dem Volk, bestimmt unsere ganze Haltung.” Da hat die NVP in ihrer Version nur einen Einspruch und ersetzt in diesem Abschnitt das Wort “gottgewollt” durch “naturgewollt”.

Wiederum die SS schreibt weiter: “Die jeweils lebenden Blutsträger dieser Gemeinschaft tragen die Verantwortung für die Gestaltung der kommenden Geschlechter. Volk ist Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft. Jedes Volk hat seine völkische Eigenart, deren Wurzeln in der rassischen Zusammensetzung des Volkes verankert sind. Das Volk als Fortpflanzungsgemeinschaft ist verpflichtet uns zur Achtung vor den erbbedingten Werten der völkischen Substanz (dem Volkstum).” Die NVP macht aus der “rassischen Zusammensetzung” vorsichtshalber einfach “Erbanlagen”, stimmt sonst aber wortwörtlich überein.

Die SS kommt sodann zum Schluss: “Die Erkenntnis des Volkes als Umweltgemeinschaft bestimmt darüber hinaus unsere Haltung den mannigfaltigen Einflüssen dieser Umwelt gegenüber. Sie verlangt eine artverbundene und artgerechte Gotterkenntnis und eine im Volk gewachsene Weltanschauung; eine gewachsene, in Familie und Gemeinschaft lebendige Kunst und Kultur; eine Sprache als das Ausdrucksmittel dieser völkischen Gemeinschaft und die Geschichte als Ablauf des Daseinskampfes des jeweils lebenden Geschlechtes.” Für die NVP ist das zuwenig, sie verlangt zwischen der “gewachsenen Weltanschauung” und der “gewachsenen Kunst und Kultur” noch zusätzlich “eine völkische Politik und eine artgemäße Rechts- und Wirtschaftsordnung”.

Die Unterschiede zwischen der SS und der NVP sind also minimal. Da fragt man sich lediglich noch: Sind die österreichischen Neonazis bloß so dreist oder wirklich so dumm, dass sie dachten damit durchzukommen?

Vor wenigen Tagen, am 30. März 2009 hatte die Bezirkshauptmannschaft Braunau eine von der NVP just zwei Tage vor dem 120. Geburtstag Adolf Hitlers in dessen Geburtsort Braunau/Inn angemeldete Demonstration untersagt. Die BH hatte festgestellt, die NVP sei eine “rechtsrextreme, fremdenfeindliche und rassistische Partei”. Das Dokumentatiosnarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) meinte im Januar 2009 in seiner Einschätzung nach Lektüre ebendieses (!) Parteiprogramms, die NVP verfüge über Merkmale, die sie “zumindest als rechtsextrem ausweisen.” Die KPÖ Oberösterreich brachte Ende März 2009 bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die NVP ein, wegen “Verdachts auf NS-Wiederbetätigung”.

Man kann angesichts der nun vorliegenden neuen Fakten jegliche Zweifel als ausgeräumt betrachten und die Einschätzung von BH Braunau und DÖW als zu zurückhaltend einstufen. Wer in seinem Parteiprogramm wortwörtlich, und dies über einen ganzen Abschnitt lang, der ein Achtel des Gesamttextes ausmacht und als dessen “weltanschauliche Grundlage” ausgegeben wird, Schulungstexte des SS-Hauptamtes des “Dritten Reiches” wiedergibt, ist nicht mehr rechtsextrem, sondern offenbar mit der SS, der NSDAP, dem gesamten NS-Faschismus und dessen Ideologie auf Wellenlänge, somit neonazistisch. Da gibt es nichts mehr herumzureden und zu deuten – die Beweise liegen am Tisch.

Als offenkundige Neonazi-Organisation gehört die NVP sofort aufgelöst und verboten, die Verantwortlichen gehören strafrechtlich belangt, wie es die österreichische Bundesverfassung vorsieht. Der Sachverhalt bezüglich des NVP-Programms und die relevanten Unterlagen wurden an die zuständigen Stellen zur Verfolgung von NS-Wiederbetätigung weitergeleitet.