Mit fortschreitendem Verschwinden österreichischer Neutralität und Souveränität und dem Aufgehen der Nationalstaaten im Großeuropäischen Reich wird es Zeit, sich mit der Wehrpflicht zu beschäftigen, die es nur noch in wenigen EU-Ländern gibt. Boris Lechthaler-Zuljevic (Linz) hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt.
Allgemeine Wehrpflicht: Die aktuelle Wirtschafts- und Kriegspolitik sind die entscheidende Bedrohung
Ein Berufsheer ist sowohl leichter für offensive Kriegseinsätze nach außen als auch im Inneren gegen die eigene Bevölkerung einsetzbar. „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ Diese alte Losung der Friedensbewegung ergibt nur als kollektive Aufgabenstellung einen Sinn. Wird sie auf „ich geh nicht hin“ reduziert, erleichtert es bloß den Einsatz militärischer Mittel beim großen Geschäft der neuen, alten Eliten. „.., doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen – negative durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“ Über diese etwas holprige Formulierung der aktuellen kriegspolitischen Ziele Deutschlands ist Horst Köhler im Mai dieses Jahres gestolpert. Dabei hat er nur laut ausgesprochen, was längst schon offizielle Doktrin in allen einschlägigen Dokumenten ist. Österreich hat wohl nicht die Größe Deutschlands, wohl aber eine mit Deutschlands Industrie verflochtene Außenhandelsorientierung und Außenhandelsabhängigkeit. Entsprechend finden sich die gleichlautenden Zielsetzungen auch in der österreichischen Sicherheitsdoktrin und Militärpolitik. „Für Österreich ist die Teilnahme an EU-Einsätzen mit großem Nutzen verbunden ….zum globalen Management von Konflikten und zwecks Zugangs zu strategischen Rohstoffen, der Aufrechterhaltung des freien Handels und der Schifffahrt“ liest man auf der web.page des BMLV bereits im Jahr 2001. Verteidigungsminister Platter lobte vor Jahren bereits die Militärpräsenz des Bundesheeres am Balkan als „Türöffner für die österreichische Wirtschaft“. Und trotz Kleinheit und Budgetnöten hegt man große Pläne. Sollte es zu einer weiteren „Stabilisierung“ am Balkan kommen, will man die Präsenz im Nahen Osten, besonders im Libanon, ausbauen. (Die Presse, 27.8.2010) Auch wenn es selten ausgeplaudert wird: Wir können getrost davon ausgehen, dass keiner dieser Schritte ohne enge Absprache mit dem großen Nachbarn vorgenommen wird.
Berufheer – leichter für offensive Kriegseinsätze nach außen und gegen die eigene Bevölkerung einsetzbar.
Das muss jenen zu denken geben, die die derzeitige Diskussion um Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und Einführung eines Berufs- bzw. Freiwilligenheeres als friedenspolitischen Fortschritt interpretieren. Präsenzdiener können nicht automatisch zu globalen Militäreinsätzen verpflichtet werden, bei Berufssoldaten kann die Verpflichtung schon beim Eintritt ausbedungen werden. Dafür tritt jetzt eine eigenartige Koalition von Grünen, BZÖ und der „Kronen-Zeitung“ in Erscheinung. Peter Pilz (Grüne) verlangt eine Konzentration auf Auslandseinsätze, Österreich solle sich auf eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik festlegen, die von den USA abgekoppelt ist. (Die Presse, 30.6.2010) Berücksichtigt werden muss auch, dass mit der sogenannten „Solidaritätsklausel“ im EU-Vertrag, auch Militäreinsätze im Innern der Boden bereitet wurde, etwa gegen unbotmäßige Bevölkerungen, die sich dem verordneten Sparkurs verweigern. (siehe: Werkstattrundbrief 12-2010, www.werkstatt.or.at) Die friedensstiftende Wirkung einer Abschaffung der Wehrpflicht ist nicht begründbar. Sie kann ebenso schnell wieder eingeführt werden, wie sie abgeschafft wurde. Viel wichtiger ist die Interpretation der außen- und sicherheitspolitischen Gemengelage. Freilich ist es unsinnig, die Aufrechterhaltung der allgemeinen Wehrpflicht mit der Bedrohung von durch den Donaukorridor ziehender Panzerkolonnen zu begründen. Als entscheidende Bedrohung muss die aktuelle Wirtschafts- und Kriegspolitik selbst betrachtet werden: eine aggressive Außenhandelsorientierung, Sparpolitik nach innen, verbunden mit der offen bekundeten Absicht diese globale Machtprojektion auch militärisch zu unterfüttern. Diese Politik wird gleichermaßen als Forderung von außen an die österreichische Politik herangetragen, wie auch von den eigenen industriellen und finanzkapitalistischen Machteliten selbst betrieben. Eine demokratische, solidarische und ökologische Wende kann sich nur entfalten, wenn Österreich die Anbindung an diese Politik aufgibt. Bedrohung muss vor diesem Hintergrund diskutiert werden. Allgemeine Wehrpflicht hätte in diesem Kontext vor allem die Aufgabe, Bereitschaft und Strukturen zur Verteidigung des eigenen demokratischen und solidarischen Weges gegen die aggressiven Ambitionen äußerer, aber auch der eigenen, Eliten zu formen. Ob dies mit dem derzeitigen Bundesheer möglich ist, erscheint höchst zweifelhaft. 24.000 Berufskader (zivile und militärische) werden beim Bundesheer beschäftigt. Ein großer Teil dieses Kaders sieht sich eher in der Tradition alter imperialer Traditionen, als einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft, die auf die Anwendung militärischer Gewalt bei der Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen bewusst verzichtet.
Boris Lechthaler-Zuljevic
Quelle: Werkstatt Frieden und Solidarität
P.S.: Unter dem Titel „Für einen allgemeinen Wehr- und Solidardienst statt eines Berufsheeres für Auslandseinsätze“ wird in der Werkstatt gerade ein Positionspapier zur aktuellen Debatte um die Wehrpflicht erarbeitet. Wer sich hier einklinken will, kann jederzeit mit uns Kontakt aufnehmen.
P.P.S.: Im Zuge des Wiener Gemeinderatswahlkampfes ist von Michael Häupl (SPÖ) auch die Forderung nach einer Volksbefragung über die Frage der allgemeinen Wehrpflicht ventiliert worden. Grundsätzlich ist die Nutzung direktdemokratischer Instrumente auch in dieser Frage zu begrüßen. Es kommt jedoch darauf an, was genau befragt wird. Wehrpflicht, ja oder nein, alleine greift sicherlich zu kurz. Wenn Volksbefragung dann auch über den Kriegsermächtigungsartikel 23 f des BVG, über die Solidaritätsklausel und die Beistandsverpflichtung im neuen EU-Vertrag, über die Einrichtung sogenannter EU-Schlachtgruppen.