… und SchülerInnen kämpferisch, treten in den Hungerstreik, bleiben hartnäckig und besetzen ihre Bildungseinrichtungen. LehrerInnen, ProfessorenInnen, Eltern, Gewerkschaften und ArbeiterInnen protestieren mit.  

Von Samar Ibrahim

Die Unterstützung zeigt sich auch in den abendlichen sogenannten Cacerolazos, bei denen BürgerInnen in der ganzen Stadt auf Töpfe und Pfannen schlagen. Ihrer Kreativität ist kein Ende gesetzt, bunt bemalt und leicht bekleidet verkünden sie ihre Forderung auf ein gerechtes und besseres Bildungssystem, das für alle zugänglich ist. Es sind die größten Proteste, die das Land seit seiner Rückkehr zur Demokratie 1989 gesehen hat.

Das Gesicht der Revolte

Die Revolte der chilenischen SchülerInnen und StudententInnen gegen das aus der Pinochet-Diktatur stammende Bildungssystem hat ein Gesicht. An ihrer Spitze steht die seit 2008 im Jugendverband der Kommunistischen Partei Chiles engagierte und gleichzeitig charismatische Präsidentin der FECH (Studierendenvereinigung der Universität von Chile) – Camila Vallejo. Mit ihrer überlegenen Argumentation steht die 23-jährige Geographiestudentin aus Santiago de Chile, „für eine Jugend, die nicht nur bessere Bildungschancen fordert, sondern sich gegen den von autoritärem Gehabe bestimmenden Politikbetrieb auflehnt“ ein: „Es geht nicht um kurzfristige Verbesserungen, sondern um eine grundsätzliche Neustrukturierung auf lange Sicht.“ Sie und ihre Landsleute können nicht verstehen, warum in Chile Bildung als „private Investition“ und „Konsumgut“ gekauft werden muss. Es ist es ein „soziales Recht“, dass die Regierung für „eine jedem Individuum gemäße Bildung“ aufkommt.

Horrende Studienkosten

„Derzeit wird nur ein Viertel des Bildungssystems von öffentlicher Hand finanziert. Das sind gerade einmal 838 Dollar jährlich die pro StudentIn aus staatlicher Kasse fließen, wobei der OECD-Durchschnitt zehnmal so hoch liegt“1. Für den/die einzelneN bedeutet das einen jährlichen Kostenaufwand von mehreren tausend Euro, der selbst in den staatlichen Bildungseinrichtungen gefordert wird und in Privatschulen und -universitäten nicht nur zur Kostendeckung dient, sondern gewinnorientierte Unternehmer, die teilweise noch Subventionen vom Staat bekommen, bereichert. Für die meisten ein unleistbarer finanzieller Aufwand. Die Kosten eines Universitätsstudiums übersteigen das Einkommensniveau von über der Hälfte der Bevölkerung, was viele Eltern, die ihren Kindern Bildung verschaffen möchten, und junge Menschen dazu zwingt, hohe Kredite aufzunehmen, die sie letztlich in den Ruin treiben und chancenlos bleiben lässt.

„Die volle Härte staatlicher Unterdrückung“

Die Regierung antwortet mit brutalster Polizeigewalt auf die Aufstände in der Bevölkerung. Allein bei der Demonstration am 12. Oktober wurden unter 250.000 Protestierenden 132 verhaftet und 30 Menschen verletzt. Tränengas und Wasserwerfer werden gegen die meist friedvoll demonstrierenden ChilenInnen eingesetzt. „Sie seien doch nur gekommen, um ihre Grundrechte wahrzunehmen“, sagte ein Student der chilenischen Zeitung The Santiago Times. „Und uns traf die volle Härte staatlicher Unterdrückung: berittene Polizei und Motorräder, Wasserwerfer und Tränengas.“2

Regierungspräsident Piñera drohte Studierenden und SchülerInnen an, ihre Stipendien einzustellen oder sie aus den Universitäten zu entlassen, sollten sie weiter an Protestaktionen teilnehmen. „Wir zeigen keinen guten Willen denen gegenüber, die nicht auf ihren Campus zurückkehren“, so Piñera. Auch die Besetzung von Schulen und Hochschulen wird kriminalisiert. Mit bis zu drei Jahren Gefängnis sollen die, die sich der staatlichen Obrigkeit nicht fügen wollen, bestraft werden.

Doch der Zusammenhang und der konsequente Kampf in der Bevölkerung sind beeindruckend stark. Schon zwei Mal wurden Verhandlungen mit Bildungsminister Felipe Bulnes abgebrochen, weil die Forderung der am Verhandlungstisch teilnehmenden StudentInnen und LehrerInnen auf eine zu 100 Prozent freie Bildung in öffentlichen Einrichtungen und das Verbot von Gewinnen in Privatschulen und Universitäten mit fadenscheinigen Kompromissen immer wieder zurückgedrängt wurde. Laut einer Umfrage von 150.000 Befragten unterstützen 89 Prozent die Studierendenproteste. Die Beliebtheit des Staatschefs Piñera ist in den vergangenen Monaten auf 27 Prozent zurückgegangen.3

Der Kampf geht weiter

Und zu Recht geben sie nicht auf! Am 18. und 19. Oktober riefen die StudentInnen- und SchülerInnenbewegung, der Gewerkschaftsdachverband und weitere 70 soziale Organisationen zum Nationalen Aktionstag für die Bildung auf. Junge DemonstrantInnen in Chile besetzten für acht Stunden den früheren Senat in Santiago. Erneut versuchten sie, eine Volksabstimmung zu den sozialen Problemen des Landes durchzusetzen und verließen das Gebäude erst nachdem OppositionspolitikerInnen ersten Schritten zu einem Referendum zugesagt hatten, das wiederum starken Widerhall bei rechten Regierungsmitgliedern fand. Demonstrationen, die zur gleichen Zeit stattfanden, eskalierten. Laut offiziellen Angaben wurden 153 Polizisten und 53 Demonstranten verletzt, weitere 1394 Menschen verhaftet. Jüngsten Berichten zufolge wurde ein 16-Jähriger durch eine Polizeikugel getötet.

Selbst nach fünf Monaten laufender Protestaktionen, die starke Unterstützung in der Bevölkerung finden, zeigt sich die Regierung unbeweglich. Der am Beginn der Woche vorgelegte Haushaltsentwurf für 2012 sieht eine Anhebung der Bildungsausgaben von sieben Prozent vor und trifft damit auf starke Ablehnung und Kritik: „Der Haushalt reicht nicht einmal für die Grundförderung der Universitäten und ist nicht wirklich eine Anhebung der Stipendien und keine Hilfe für Studierende aus armen Familien“, empört sich der Rektor der Universidad de Chile und Vizepräsident des Rektorenrats Víctor Pérez.

Die UNO soll vermitteln

Die Protestbewegung gab öffentlich bekannt, nach langem Stillstand der Regierung, um die Unterstützung der UNO, die bei der Konfliktvermittlung helfen soll, zu bitten. Der Vertreter des Studierendenverbandes CON-FECh José Ankalao erklärt dazu: „Da wir uns einer unfähigen Regierung gegenüber sehen, kommt aus vielen Teilen der CONFECh die Forderung, dass die UNO in diesem Konflikt vermitteln sollte, um in diesem Konflikt zu irgendeiner Lösung zu kommen.“4

Ein Aufgeben der Volksbewegung ist somit nicht in Sicht. Nach langen, harten Auseinandersetzungen mit der Regierung trifft sie ständig auf taube Ohren, wird trotzdem nicht müde und bleibt geschlossen und entschlossen im Kampf um ihre Rechte, was wir in Österreich wohl noch lernen müssen.

| aus ROTCROWD #18, Wintersemester 2011