Zuletzt besuchte ich Kuba 1985. Als ich jetzt nach 21 Jahren meine kubanischen Genossen wieder traf, war ich innerlich bewegt, ja, auch befangen. Zwischen beiden Besuchen liegt der Untergang der sozialistischen Staaten Europas. Das sozialistische Kuba blieb vor der Haustür der USA allein: Ohne Solidarität aus Moskau und Berlin, fast ohne Erdöl, ohne vereinbarte Warenlieferungen, ohne Spezialisten aus den RGW-Ländern, ohne politischen, militärischen oder moralischen Beistand der einstigen Verbündeten. Der Sozialismus auf Kuba überlebte eine schwierige »Spezialperiode«. Heute läßt sich nur noch ahnen, was die Kubaner durchgemacht haben, was diese Zeit sie an Entbehrungen, aber auch an Standhaftigkeit, Arbeitsmoral, an Zuversicht und Selbstvertrauen abverlangt hat. Kuba ist im Vergleich zu jener Zeit über den Berg. Die Wirtschaft wächst. Das Land hat eine ausgezeichnete touristische Basis aufgebaut. Die Handelsbeziehungen mit vielen Ländern, vor allem mit der VR China, mit Vietnam und Venezuela funktionieren zum gegenseitigen Vorteil. Die politische Entwicklung linker Kräfte in Lateinamerika gibt den Kubanern Kraftzuwachs. Chávez’ Wahlsieg feierten sie wie einen eigenen Erfolg. Sie sind zuversichtlich, auch die noch sehr schwierigen Probleme bei der Versorgung, im Transportwesen und beim Wohnungsbau zu lösen.

Menschenrechte

Ich absolvierte praktisch eine Bildungsreise in Fragen Menschenrechte. So z. B. beim Besuch des Forschungszentrums für Gentechnik und Biotechnologie. Dank der Arbeit kubanischer Wissenschaftler ist es gelungen, Krankheiten zu besiegen, die in der Vergangenheit weit verbreitet waren. Bei der Senkung der Kindersterblichkeit liegt Kuba auf einer Stufe mit Kanada weit vorn in der Welt. Die Kubaner haben inzwischen eine höhere Lebenserwartung als ihre nordamerikanischen Nachbarn. Die Organisation des Gesundheitswesens, für jedermann zugänglich und kostenlos, ist moderner als in Deutschland. Beim Besuch einer Poliklinik sagte mir eine Ärztin, in Kuba gebe es nur »Patienten« und keine »Kunden«. Prägnanter kann man den Unterschied zum kapitalistischen Gesundheitswesen wohl nicht auf den Punkt bringen. Begeistert hat mich der Besuch einer Augenklinik, in der nach modernsten Operationsmethoden vielen Menschen das Augenlicht wieder- gegeben wird, darunter inzwischen schon 450 000 Bürgern aus lateinamerikanischen Nachbarländern.

An einer Medizinischen Hochschule am Stadtrand von Havanna studieren mehr als 10 000 Studenten aus Lateinamerika und Afrika, vorwiegend aus Bevölkerungsschichten, die sich in ihren Heimatländern ein Universitätsstudium nicht leisten könnten. Solidarität und Kuba sind eben eins. Angesichts solcher Leistungen ist es mehr als scheinheilig, wenn bestimmte Kleingeister in Europa die Menschenrechte in Kuba daran messen, ob jeder »Oppositionelle« einen Internetanschluß hat. Ich kenne kein anderes Land auf der Welt, das ein solches Maß von sozialer Gleichheit verwirklicht wie Kuba – trotz Blockade durch die USA.

Bildungswesen

Wenn ich in Deutschland von Politikern höre, man müsse das Bildungswesen »skandinavisieren«, dann wünschte ich mir, sie würden eine Reise zum Kennenlernen des Bildungswesens in Kuba machen. Als Lehrer weiß ich, wovon ich rede, wenn ich das kubanische Bildungswesen zu den modernsten der Welt zähle. Im Museum für Alphabetisierung kann man erfahren, wie Kuba von einem Land mit vielen Analphabeten zu einem Staat mit einer hochgebildeten Bevölkerung wurde, die jede PISA-Studie überstehen würde. An der Versuchsschule »José Marti« habe ich erlebt, wie eng die Lehrerausbildung mit der Schulpraxis verbunden ist. In den Schulen zeigen sich die Früchte eines einheitlichen Bildungssystems, das in der Kinderkrippe bzw. dem Kindergarten beginnt, bis zur Oberschule und dann zur Berufsausbildung bzw. zur Universität führt. Ein besonderes Erlebnis war der Besuch der Universität für Informatikwissenschaften, die auf dem früheren Gelände einer sehr sensiblen Radarstation der UdSSR und der dazugehörigen sowjetische Militäreinheiten steht. Hier studieren ca 10 000 Studenten an zehn verschiedenen Fakultäten. In den Internaten gibt es für jeden Studenten einen eigenen Computer-Arbeitsplatz. Wer in Europa der bürgerlichen Propaganda erlegen ist, in Kuba gebe es keine Reformen, der hat wesentliche Entwicklungen auf der Karibikinsel verschlafen. Wer ideologisch nicht verblendet ist, erlebt, daß sich Kuba inmitten großer gesellschaftlicher Veränderungen befindet. Die Kubaner lassen sich den Sozialismus nicht »wegreformieren«. Vom kleinen Dorf bis in die Zentrale hinein habe ich die Zuversicht der Menschen gespürt, daß Kuba nicht das Schicksal der europäischen sozialistischen Staaten erleiden wird.

Revolution

Wie geht es Fidel? Diese Frage bewegt mich genau so wie die Kubaner selbst. Castro und Kuba sind schließlich Synonyme. Die Errungenschaften ihrer Revolution stehen jetzt und in Zukunft nicht zur Disposition. Es herrscht im Lande – so habe ich es jedenfalls erlebt – eine optimistische Gelassenheit, die von einer stabilen politischen Situation zeugt. Kubanische Freunde, die Fidel Castro besuchen oder mit ihm telefonieren, haben mir gesagt, er nehme nach Kräften an wichtigen Entscheidungen der Führungsgremien teil und mache gesundheitliche Fortschritte. Nach meinen Beobachtungen gibt es in der kubanischen Führung eine bemerkenswerte Einheit der Generationen. Alle Führungsgremien wurden systematisch verjüngt. Ich traf einstige Funktionäre des Kommunistischen Jugendverbandes, die jetzt in höchsten Partei- und Staatsorganen Verantwortung tragen. Zwischen ihnen und der Generation von Fidel und Raúl gibt es eine fundamentale Übereinstimmung über die Kontinuität der kubanischen Revolution.

Raúl Castro informierte mich auch darüber, daß die kubanische Führung alles unternimmt, um die Einheit zwischen Volk, Kommunistischer Partei und den Streitkräften zu festigen. Diese Einheit, so hieß es in seiner Ansprache zur Militärparade am 2. Dezember, sei die wichtigste »strategische Waffe, die der kleinen Insel ermöglicht, sich standhaft zu halten«. Die USA haben im Zusammenhang mit Fidels Erkrankung erklärt, sie würden die »Kontinuität der kubanischen Revolution nicht akzeptieren«. Sie reden offen davon, für den Sturz der kubanischen Regierung einen Geheimplan zu haben. Sie geben Unsummen für die Desinformation der Bevölkerung und für die Bezahlung von Helfershelfern aus Europa aus, die sich in die inneren Angelegenheiten Kubas einmischen sollen. International versuchen sie, unter Mißbrauch einer Menschenrechtsdebatte Kuba für die USA sturmreif zu machen. Bedauerlich, dass es auch in Europa einige linke Politiker gibt, die diese Zusammenhänge nicht sehen wollen. Die Militärparade hat signalisiert: Kuba ist gut vorbereitet, mögliche imperialistische Abenteuer zu durchkreuzen. Gleichzeitig hat Raúl Castro den USA angeboten, alle strittigen Fragen friedlich zu lösen. Nur eine ist nicht verhandelbar: Die Souveränität und die Freiheit Kubas. Eine »Transformation« vom Sozialismus zum Kapitalismus wird es nicht geben. Das ist meine Überzeugung, mit der ich aus Kuba zurückgekommen bin.

Egon Krenz, 1989 Staatsratsvorsitzender der DDR und Generalsekretär der SED, war auf Einladung von Raúl Castro Gast der Militärparade am 2. Dezember anläßlich des 50. Jahrestages der kubanischen Streitkräfte und des 80. Geburtstages von Fidel Castro

Quelle: junge Welt
Übernommen von: www.kominform.at

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