Von secarts

Was wäre… wenn man gutes Geld verdienen könnte, ohne Schuld auf sich zu laden, im globalen kapitalistischen Profitzirkus? Wenn man ohne schlechtes Gewissen tolle Dinge herstellen, verkaufen oder erwerben könnte? Wenn man nach dem Einkaufsbummel noch das wohlige Gefühl genießen könnte, der Welt was Gutes getan zu haben?

Diese oder ähnliche Fragen stellen sich viele. Dass Reichtum irgendwas mit Armut, auf der anderen Seite, zu tun hat, und dass das Elend der sogenannten “dritten Welt” irgendwie korrespondiert mit dem – relativen – Wohlstand der “ersten”, ist nichts Neues. Vor hundertundfünfzig Jahren hatten zwei Theoretiker, Wissenschaftler und Polemiker eine Antwort auf solche Fragen. Den Sturz der bestehenden Gesellschaftsordnung, und die Errichtung einer Neuen – die die private Mehrwertaneignung verunmöglicht. Doch das dauert lange. Zu lange, für viele. Im Hier und Jetzt gemütlich einrichten, das muss doch auch gehen. Und bitte mit Wohlfühlfaktor!

Seit den sechziger Jahren gab und gibt es immer wieder größere und kleinere Versuche, das Beste aus der Welt, in der wir leben, herauszuholen, und dabei dennoch nicht alle sozialen, ökologischen und humanitären Ideale über Bord zu werfen. Die sogenannte “68-Revolte” hatte, nicht nur in Deutschland, eine ganze Generation Kleinbürgernachwuchs mit Versatzstücken verschiedenster politischer und ethischer Theorien kontaminiert, die – je nach Coleur – eher auf Freud, Reich, Bakunin oder Gesell fundierten. Der Vietnamkrieg gab dem Ganzen die politische Radikalisierung, die Fraternisierung mit El Fatah, den Tupamaros oder Pol Pot das antiimperialistische und internationalistische Feeling. Wie die Story ausging, wissen wir heute. Ein Teil der Bewegung setzte damals auf die K-Gruppen und heute auf Ministersessel, Chefredakteursposten oder Ehrenwürden als moralische Weltaußenminister auf Lebenszeit. Andere versuchten ihr Glück mit Selbstfindungstrips nach Indien und blieben gelegentlich dort. Und wieder andere – und damit sind wir zurück beim Thema – gaben die Illusion vom antiautoritären Sozialismus zunächst auf und richteten sich ein, in den Umständen: im selbstverwalteten Weinladen mit Lohn nach Bedürfnis, im kollektiv organisierten Fahrradreparaturschuppen neben dem Uni-AStA, in der alternativ und biologisch-dynamisch wirtschaftenden Öko-Kommune mit Gemeinschaftsschlafraum, in der – das Private ist politisch! – die Türe zum WC ausgehängt wurde und schon damit die Weltrevolution ein Stückel näher rückte.

Die dergestalt entstandene Alternativbewegung ging entweder in Bausch und Bogen pleite oder bekam irgendwann die Wende zu “normalen”, kapitalistischen Verhältnissen. Das Prinzip Käseglocke, also die große Illusion, in einer kapitalistischen Gesellschaft kleine nichtkapitalistische Nischen zu schaffen, für die – dank Einsicht, durch bessere Umgangsformen oder Chefduzen – die ansonsten gültigen Gesetzmäßigkeiten nicht mehr zuträfen, hat sich innerhalb der letzten zwanzig Jahre gründlich selbst widerlegt. Was bleibt? Ein Haufen Zynismus bei vielen ehemals Involvierten, und wenige, ganz wenige Millionäre.

Um einen solchen soll es heute gehen. Anita Roddick, 64, ist eine der vermögensten Frauen Europas. Unlängst schlug die Queen sie zur “Dame of the British Empire”. Begonnen hat ihre Karriere mit der Gründung des “Body Shops”, einer alternativen Kosmetikkette, die heute als Franchiseunternehmen mehr als 2000 Fillialen in fast aller Welt hat. Der “Body Shop”unterscheidet sich rein äußerlich wenig von anderen Kosmetikbuden; von der typisch dunkelgrünen Farbe und ein paar Hinweisschildern abgesehen: die mahnen den Kunden zu “Umweltschutz”, “Selbstachtung”, “Menschenrechten” und “Hilfe durch Handel”. Im Programm sind Tinkturen, Lotions und Shampoos, die auf indianischen, kreolischen und beduinischen Traditionsrezepten basieren. Sie kosten etwas mehr als die Standardprodukte bei L’Oréal.

Dafür aber verkauft der “Body Shop” mehr als nur Kosmetik. Er verkauft – und dies rechtfertigt den Aufpreis mehr als das schamanische Insiderwissen – ein gutes Gefühl dazu. Das gute Gefühl, geholfen zu haben: durch fairen Handel, durch nachhaltige Bewirtschaftung und durch Cosponsoring von Menschenrechten. Stellvertretend für uns alle spendet Anita Roddick Millionen für Amnesty International und geht mit dem Dalai Lama auf Promotiontour; sie protestiert in Seattle gegen die WTO und in Frankreich gegen Atomraketen. Und jeder Kunde weiß: ich habe all das, ein Stück weit, mitfinanziert.

Ich habe nichts gegen Kosmetik. Mehr noch: ich habe nichts gegen Konsum im Allgemeinen, gegen Luxus, gutes Essen, schöne Kleidung oder all die anderen Dinge, die das Leben erleichtern oder angenehmer machen. Mir ist all das sogar noch zu wenig: Jeder soll es haben können. Ich will nicht die erste Klasse abschaffen, sondern die Zweite. Probleme habe ich vielmehr mit unreflektiertem Konsumverzicht oder, schlimmer noch, der Illusion, durch freiwillige Zahlung des doppelten Preises im Reformhaus – oder eben besagtem “Body Shop” – die Welt besser zu machen. Persönliche Askese oder moralisch begründete selbstgewählte Armut ändern die Welt nicht. Ebensowenig wie “fairer Handel”, der Euro mehr “für den Regenwald”oder die Spende an die Heilsarmee die kapitalistische Ausbeutung besser machen und Kredite von der “Öko-Bank” die private Mehrwertaneignung abschaffen oder Pottwale retten. “Es gibt nichts Richtiges im Falschen”, sagte mal ein Kerl namens Adorno. Das gilt auch hier: Im Kapitalismus Geld verdienen oder ausgeben heißt sich am Kapitalismus beteiligen, ob man will oder nicht. Da wir in der Regel alle etwas essen und trinken müssen und auch gerne ein Dach über dem Kopf haben, und um das zu bezahlen in aller Regel unsere Arbeitskraft unter Wert verhökern, sind wir unweigerlich Bestandteil dieser Gesellschaftsordnung. Das Etikett “fair” ändert daran höchstens subjektiv etwas. Des Rätsels Lösung ist, das hatten wir bereits weiter oben, hundertfünfzig Jahre alt; der Preis ist bekannt: Umsturz aller herrschenden Verhältnisse. Solange das nicht vollbracht ist, wird jedes Bemühen, die kapitalistischen Verhältnisse ein bißchen weniger kapitalistisch zu machen, in großen Illusionen und noch größerer Ernüchterung enden.

Im Falle Anita Roddick heißt diese Ernüchterung L’Oréal und betraf – resp. sollte betreffen – wohl eher die Kunden als sie selbst. Denn die französische Kette hat den “Body Shop” im Jahr 2006 für 190 Millionen Euro gekauft. Die Schilder “gegen Tierversuche” und “für Menschenrechte” prangen weiter in jeder Filliale, die grüne Farbe und der etwas höhere Preis sind auch geblieben. Ansonsten gehört der “Body Shop” nun auch offenkundig dazu, zum ganz normalen Kapitalismus. Frau Roddick findet das gar nicht so schlimm, denn “diese Franzosen haben mich verführt. […] Sie hatten Manieren, ganz anders als die Amerikaner, die ihre klingelnden Handys in die Meetings schleppten”, beichtet sie im Interview des “Tagesspiegel”. So schnell und so romantisch kann er enden, der Traum von der besseren Welt – bei einem verführerischen Abendessen: “Sie fragten mich nach meinen Gefühlen bei dem Verkauf. Das mochte ich.”

Da muss selbst der brave Interviewer vom “Tagesspiegel” stutzen: “Aber L’Oréal ist einer der Konzerne, die Sie früher verteufelten. Für die geht Profitmaximierung vor Ethik”! Doch das lässt sich Frau Roddick nicht einfach so unterjubeln: “Das glaube ich nicht. Konzerne, die ihren Gewinn auf Kosten anderer machen, sind Exxon Mobile oder Coca-Cola”. An die hat sie aber nicht verkauft. Denn da ist sie – und mit ihr ein Großteil nicht zuletzt der deutschen Bevölkerung – sicher: Profite auf anderer Leute Kosten machen die amerikanischen Globalisierungsheuschrecken. Aber nicht der gute schaffende Unternehmer in good old europe. Eine Argumentation, die uns vor allem aus unserem Land allzu bekannt vorkommt, wo noch jeder Ausbeuter rheinischen Schlages zum sorgenden Patron wird im Angesicht des alles überrollenden, nur den Gott Mammon anbetenden US-Wallstreet-Turbokapitalismus.

Was wir daraus lernen können, Erstens: Kapitalismus ist Kapitalismus ist Kapitalismus. Ob “fair” oder “Heuschrecke”, sie alle gehören zum selben System, bedingen einander und sind nicht singulär abschaffbar. Sie alle unterliegen den gleichen Gesetzmäßigkeiten und lassen sich nicht durch moralische Einkehr oder “faire” Illusionen verbessern. Die diesem System zugrunde liegenden ökonomischen Gesetze lauten “tendenzieller Fall der Profitrate”, “Zwang zur Monopolisierung” und “private Mehrwertaneignung”. Das bedingt nicht nur alle ekelhaften und so offenkundig unvernünftigen Begleiterscheinungen wie Überproduktion bei gleichzeitgen Hungerkatastrophen, Verteilungskriege gegen Konkurrenten auf den Rücken der Arbeitenden und Massenarbeitslosigkeit und Armut in den – eigentlich – reichsten Ländern dieser Erde.

Zweitens. Mehr zu zahlen und sich danach besser zu fühlen mag ein Zeitvertreib für Leute sein, die’s sich leisten können – Kleinbürger mit dem Groschen mehr als überlebensnotwendig im Säckel, die den eigentlich ethisch verwerflichen Konsum zwar nicht missen wollen, gerne aber moralisch legitimieren. Dieser Spaß soll niemandem genommen werden. Wer fair gehandelten Kaffee, menschenrechtsunterstützende Bodylotions oder regenwaldrettende Bierkästen mag und zahlen kann, möge dies tun. Zumindest aber die moralischen Argumente, konkret und damit die Welt besser zu machen, sollte er für sich behalten – es stimmt nicht nur nicht, es ist obendrein eine Verhöhnung all jener, die unter dieser Gesellschaftsordnung zu leiden haben und in New York, Sri Lanka oder Berlin höchstens die Fensterscheiben des “Body Shops” putzen dürfen.

Und letztendlich Drittens: Die – einzig mögliche – Lösung des Dilemmas: nicht “zurückschneiden” der besonders augenfälligen Aspekte, die gerne in “den Börsen” oder “der Spekulation” gesucht und gefunden werden; sondern grundlegende Änderung dieses durch und durch anarchistischen Wirtschaftsprinzips. Die “Heuschrecken” an den Börsen sind qualitativ nichts anderes als die guten, “schaffenden” Kapitalisten. Sie sind zweierlei Seiten ein und derselben Medaille, denn nicht die nationale oder internationale Organisation der Mehrwertverteilung macht den Kapitalismus verwerflich; die private Mehrwertaneignung macht ihn unsinnig.Und ob der Aneignende Anita Roddick heißt und gelegentlich ein paar Mille an Amnesty abdrückt und persönlich die WTO nicht leiden kann, oder Hauptaktionär von L’Oréal, Coca Cola oder ExxonMobile ist, bleibt dabei unerheblich. Von Kapitalisten die Verbesserung des Kapitalismus zu erwarten ist und bleibt so blödsinnig wie auf Sündenvergebung durch die katholische Kirche zu hoffen.

www.secarts.org

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